Industrie 4.0 ist in aller Munde – aber nur prozessorientierte Organisationen können ihre Potenziale wirklich ausschöpfen. Warum das klassische Funktionsdenken in Verwaltung und indirekten Bereichen scheitert und welche Form von Organisation durch Prozessorientierung echten Mehrwert schafft, klären wir hier.
Wir streben nach dem Ideal einer Industrie 4.0, in der alle unsere Prozesse digitalisiert, fast wie von selbst ablaufen und die Ressource Mensch so effizient wie irgend möglich eingesetzt werden kann.
Doch 95% unserer heutigen Organisationen sind dafür falsch organisiert und können und dies daher nicht leisten.
Prozessorientierung durch neue Segmentorganisation
In den achtziger und neunziger Jahren des vorherigen Jahrhunderts konnten wir in der Fertigung enorme Produktivitätssprünge erzielen, als Unternehmen sich von der Werkstatt-(Funktions-) Organisation verabschiedet, unterschiedliche Fertigungsverfahren aneinandergereiht und eine prozessorientierte Produktionsstruktur eingeführt haben. Diese produktgruppenorientierte Segmentorganisation führte zu erheblichen Kosteneinsparungen und zu stark verkürzten Durchlaufzeiten.
Denn die einzelnen Fertigungsprozesse wurden hintereinandergeschaltet und aufeinander abgestimmt, sodass das Produkt in einem Fertigungsfluss produziert werden konnte. Hierdurch benötigte man kaum noch Transporte oder Einlagerungs- und Auslagerungstätigkeiten. Der Aufwand für die Fertigungssteuerung reduzierte sich erheblich und man benötigte weniger Führungspersonal.
Natürlich war die Einführung ein harter Kampf:
Die Damen und Herren Werkstattleiter (Funktionsbereichsleiter) verteidigten ihr Königreich mit rationalen und irrationalen Argumenten wie z.B. Verlust der fachlichen Kompetenz, etc., doch nach und nach setzen sich einzelne Manager durch und konnten schließlich die Früchte ihres Erfolges ernten, ohne dass sich die befürchteten Schreckensszenarien bewahrheitet hätten. Die prozessorientierte Fertigung hat sich in weiten Teilen der Industrie durchgesetzt, weil damit über 20% der Kosten gesenkt und mindestens 50% der Durchlaufzeit eingespart werden konnte.
Prozessorientierung in den administrativen Bereichen?
Warum also wird das in unseren administrativen und indirekten Bereichen nach wie vor nicht ebenfalls konsequent umgesetzt?
Will man auch dort alle Prozesse aufeinander abstimmen, bleibt nur die produktgruppenspezifische Prozessorganisation, da diese keine Funktionen und damit auch keine Schnittstellen kennt.
Alles folgt dem Prozess.
Alle Versuche durch die Digitalisierung von Abläufen die einzelnen Funktionen zu optimieren, mögen innerhalb der Funktion ein Optimum erreichen, sie müssen aber nicht zu einem Gesamtoptimum führen. Daran ändert auch die Optimierung durch Künstliche Intelligenz nichts.
Je nach den Marktbedürfnissen und der bestehenden Organisationsform kann eine prozessorientierte Organisation den gesamten Auftragsabwicklungsprozess vom Kunden zum Kunden abbilden oder auch eine unabhängige und eigenständige Prozessorganisation vom Vertrieb bis zur Abrechnung bedeuten.
Damit trägt der Prozessmanager die gesamte Verantwortung für diese Produktgruppe.
Prozessorientierung ist die einzige Organisationsform, die in der Lage ist:
- aus einem bereits top organisierten Unternehmen weitere über 20% Kosteneinsparungen zu generieren,
- die Wettbewerbsfaktoren des Business on Demand – Verfügbarkeit und Kosten – gleichzeitig zu optimieren und
- die Voraussetzungen zu schaffen, den Gedanken der Industrie 4.0 umzusetzen und Geltung zu verschaffen.
Im Buch Der Weg aus der Digitalisierungsfalle wird die Transformation von einer funktionsorientierten zu einer prozessorientierten Organisation ausführlich beschrieben.
Erscheinungsformen der Funktionsorientierung
a. Die funktionale Organisation
Was aber passiert in unseren funktionsorientierten Organisationen in den administrativen und indirekten Bereichen?
Die Prozesse, wie der Auftragsabwicklungsprozess oder der Entwicklungsprozess, stören sich nicht an den Funktionen, sondern laufen durch diese hindurch. Dabei gibt es – wie bereits beschrieben – zahlreiche Schnittstellen, an denen die Prozesse aufgehalten werden und sich Verschwendung ansammelt.
Funktionsorientierte Unternehmen leben mit Verschwendung an den Schnittstellen.
Doch darauf angesprochen verteidigen die Führungskräfte ihre Königreiche mit aller Macht und Verve – oft mit fast den gleichen Argumenten wie damals die Werkstattleiter.
Wenn nicht alle Funktionen wie in einem Orchester zusammenspielen, alles aufeinander abgestimmt ist und jeder weiß, welche Informationen er zur richtigen Zeit und in der richtigen Form weitergeben muss, entstehen – wie zuvor in der Fertigung – Verluste.
b. Matrix-Organisation
Die Matrix-Organisation in Unternehmen bildet eine Sonderform der funktionalen Organisation mit sich überlagernden Kompetenzen (Matrix).
Man trifft diese häufig in großen Unternehmen an, die versuchen, ihre sich überlagernden Kompetenzen durch eine zweifache (Land und Funktion) oder sogar dreifache Matrix (Land, Funktion, Bereich) zu beherrschen – was jedoch in den meisten Fällen nicht gelingt.
In dieser Organisationsform wird der größte Motivationsfaktor des Menschen – die Verantwortung – mit Füßen getreten, außer Kraft gesetzt und ignoriert. Es hieß schon in früheren Jahren: Gebe einem Sklaven zwei Herren, und er ist ein freier Mann.
Objektiv betrachtet erhöht sich die Anzahl der Schnittstellen im Vergleich zu einer funktionalen Organisation bei einer Matrixorganisation um das Doppelte – mit doppelten Schwierigkeiten und Verlusten.
Prozessorientierung = ganzheitlicher Blick auf Wertschöpfung
Die Prozessorientierung bietet also nicht nur eine Antwort auf organisatorische Komplexität, sondern sie schafft die Grundlage für Effizienz – durch klare Abläufe, abgestimmte Zuständigkeiten und einen ganzheitlichen Blick auf Wertschöpfung.
Doch wie genau wird diese Effizienz im operativen Alltag erreicht?
In Artikel 4 beleuchten wir zentrale Fertigungsprinzipien, die genau dort ansetzen: beim konkreten Tun. Sie zeigen, wie durch Fluss, Standardisierung, Qualität und Kundenorientierung messbare Erfolge entstehen – in der Produktion wie auch darüber hinaus.
P.S. Beachten Sie auch unsere Sommeraktion im Lean Managenement Institut. Wenn Sie im August buchen, erhalten Sie 15% Rabatt auf alle Seminare in 2025.
Alle Artikel (ab 8. Juli 2025 alle zwei Wochen):
Artikel 1: Warum Prinzipien den Unterschied machen
Artikel 2: Organisationsprinzipien – Kundenorientierung mit Substanz
Artikel 3: Prozessorientierung – Vom Silodenken zur Wertschöpfung
Artikel 4: Fertigungsprinzipien mit Wirkung – Von Wertstrom bis „Right First Time“
Artikel 5: Führung braucht Prinzipien – und Konsequenz
Artikel 6: Demokratur – Die Kunst, partizipativ und entschlossen zu führen
Artikel 7: Fragen statt Antworten – Denken lassen und Vertrauen schaffen
Artikel 8: Benefits guter Führung – Grenzen des Marketings