Letztens bin ich wieder durch ein Unternehmen geführt worden, dass Lean ist – Aussage des Geschäftsführers. Wie konnte ich ihm widersprechen?
Nach dem obligatorischen Rundgang frage er mich ganz euphorisch: „Das ist doch lean, oder? Was müssen wir noch machen?“ Nun, was sollte ich jemandem sagen, der eine super aufgeräumte und toll aussehende Produktion hatte? 5S vom feinsten sozusagen. Der mich aber von vorne nach hinten und nicht von hinten nach vorne durch die Produktion geführt hat. Dann auch noch stolz auf sein Lager war, welches er ganz lean als Supermarkt bezeichnete. Dann die wunderbar markierten Transportwege, die sich als Autobahnen für Gabelstapler herausstellten. Mit Maximalspeed wurde da alles wieder aus dem Supermarkt transportiert.
Ich habe darum gebeten, uns an einen Ort zu bringen, an dem man die ganze Fertigung übersehen konnte. Mühsam sind wir dann auf eine Plattform geklettert, die früher für die Kranfahrer angelegt worden war. Nun, dort standen wir also und haben uns seine wirklich schön aufgeräumte Firma angeschaut. Auch von hier oben konnte man sehen, welche Mühen und Energie in die 5S-Aktion gesteckt worden war, fast in Perfektion ausgeführt.
Aber dann aus der Vogelperspektive wurde einiges sichtbar, was nicht so richtig lief. Nach 10 Minuten aus der Vogelperspektive fiel ihm immer noch nichts auf. Ich habe dann gebeten, den Gabelstaplern eine einstündige Pause zu verordnen. Bald sah auch er, was passierte. Die einen hatten nach 20 Minuten keinen Nachschub mehr, die anderen waren nach einer Stunde noch immer nicht mit ihrem Vorrat durch.
Da fiel der Groschen. „Mensch, Herr Wiegand, klar, das ist alles nicht abgestimmt“. „Ja“, sagte ich, „es ist kein Fluss in Ihrer Fertigung“. Der Gabelstaplerverkehr überdeckte alles und lies die Fertigung sauber erscheinen. Keine Kisten standen herum, alles war im Supermarkt. Der hat alles ausgeglichen und überdeckte das Wesentliche.
Also, lassen Sie sich nicht täuschen von Fertigungen ohne Material, von schön aufgeräumten 5S-Inseln der Glückseligkeit. Glauben Sie nichts, ohne den Wertstrom gesehen zu haben und gehen Sie ihn ab. Nur so erfahren Sie, was wirklich läuft.
Hinterher haben wir uns sehr intensiv über Fluss-Kaizen unterhalten. Zum Schluss gab er dann auch zu, dass er mich testen wollte, eigentlich nur den Stempel als auditiertes Lean-Unternehmen haben wollte. Aber der Geschäftsführer konnte nicht wissen, dass ich keine Gabelstapler mag.
Bleiben Sie uns gewogen – bleiben Sie Lean.
Ihr Bodo Wiegand