Letztens war ich in einem Unternehmen, welches stolz darauf war, alles mit allen im Konsens zu entscheiden. „Dann wissen wir, dass alle dahinter stehen und es auch ausgeführt wird“. „Stimmt das?“, habe ich mich gefragt.
Nun, wenn es stimmt, hieße das ja, dass alles umgesetzt und ausgeführt wird, was beschlossen wurde – also unternehmerisches Schlaraffenland – die Lösung halt.
Gibt es da nicht auch Nachteile? Nun, da wäre zuerst einmal die Frage zu stellen, was heißt mit allen – die ganze Belegschaft oder nur die Geschäftsführung? Nun ja, auf Nachfrage war es in diesem Unternehmen dann die 1. und 2. Führungsebene. Ach so – und dann law and order? oder weiter Konsens? D.h. wenn die obere oder die oberen Führungsebene(n) etwas beschlossen haben, wird das dann auch von den Teamleitern und den Shopfloor-Mitarbeitern getragen? Arbeiten diese dann von rechts nach links statt von links nach rechts?
Ich glaube nicht, wenn die Führung im Konsens entscheidet, hilft dies sicher bei der Umsetzung, da es wahrscheinlich keine Führungskraft gibt, die offen gegen die Entscheidung arbeitet. Wird dann die Entscheidung in Konsensgesprächen weitervermittelt? Was hat es für einen Zweck, wenn die Führung im Konsens entscheidet und die Mitarbeiter hierarchisch geführt werden oder sie nicht mitnehmen? Letztlich hängt der Umsetzungserfolg davon ab, wie ich die Mitarbeiter auf den unteren Ebenen mitnehme und überzeugen kann, damit das, was entschieden wurde, auch umgesetzt wird.
Ich denke, man kann festhalten: Die Umsetzungswahrscheinlichkeit steigt bei Konsensentscheidungen der Führung.
Doch gibt es auch Nachteile bei diesem Führungsverhalten? Ich denke, man kann 3 Punkte zusammenfassen:
- Da die Entscheidungen meist auf dem Fundament „Ich trage Deine Entscheidung, dann trägst Du meine“ verhandelt worden sind, sind diese Entscheidungen oft ein Kompromiss, also nie schwarz/weiß sondern grau.
- Erfahrungsgemäß dauern die Entscheidungen länger, dies bedeutet geringere Dynamik und Flexibilität um schnelle Entscheidungen treffen zu können.
- Wenn dann eine Entscheidung getroffen wurde, wer trägt dann die Verantwortung – alle – oder gar keiner?
In anderen, meist traditionellen Unternehmen gibt es einen Führungsstil – hierarchisch. Dort wird das gemacht und Top down von oben bis unten durchgesetzt, was der Chef sagt, d.h. maximale Entscheidungsdynamik bei hoher Umsetzungsstärke.
Ich habe tatsächlich Unternehmen erlebt, wo die Umsetzung hervorragend geklappt hat. Die Entscheidungen wurden in irrsinniger Geschwindigkeit nach dem Law and Order-Prinzip ausgeführt. Es wurde nicht gefragt, sondern gemacht. Es wurde umgesetzt – egal, ob das sinnvoll war oder nicht – ob das zu mehr Kosten oder Prozessbrüchen führte – ob ganze Abteilungen danach arbeitsunfähig waren oder nicht.
Das hierarchische Führungsverhalten hat den entscheidenden Nachteil: Es nutzt die vorhandenen Ressourcen, es nutzt die Intelligenz Ihrer Mitarbeiter nicht. D.h. solche Unternehmen nutzen ihr Human Capital nicht und sind nur so intelligent, wie Ihre Führung.
Nun gibt es aber auch solche Unternehmen mit hierarchischer Tradition, die so ein bisschen Demokratie leben wollen. Dies führt meist bei den Mitarbeitern zu maximaler Verwirrung und Unsicherheit, weil die hierarchische Tradition Ihnen immer Guidelines gegeben hat und Sie deshalb mit der neugewonnenen Freiheit nicht so viel anfangen können. Ein solcher Kulturwechsel braucht sehr viel Führung und noch mehr Zeit und kostet – aber ich glaube, es lohnt sich.
Vielleicht haben Sie es gemerkt, aber beide Führungsarten „Demokratie“ oder „Diktatur“ sind nicht gerade meine Favoriten.
Im Fall 1 fehlt es mir an Verantwortung und Dynamik. Wenn alle alles entscheiden, sind alle verantwortlich, also keiner. Im Fall 2 fehlt mir die Einbindung und damit das Engagement der Mitarbeiter.
Deshalb bin ich für die „Demokratur“ – und das im ganzen Unternehmen.
Der wichtigste und lang anhaltenste Motivationsfaktor des Menschen ist Verantwortung.
Gebe ich dem Mensch Verantwortung, fängt er an, seine Aufgabe als sein Werk, seine Sache zu sehen. Verantwortung bekommen bedeutet aber auch Entscheidungen alleine treffen zu können. Die Führungskraft, die Verantwortung auf den Mitarbeiter – egal welche Führungsebene – überträgt, muss mit den Entscheidungen und auch mit den Fehlern, die dadurch eventuell entstehen können, leben. Verantwortung geben, o.k., aber Entscheidungsfreiheit lassen und Fehlertoleranz beweisen – endet das nicht im Chaos? Nein, wenn man folgende Voraussetzungen schafft:
1. Das Rollenverständnis
Derjenige, der Verantwortung hat,
- muss seine Entscheidungen im Kreise seiner Mitarbeiter und Kollegen abwägen.
- muss versuchen, sie mitzunehmen und sie überzeugen.
- muss letztlich entscheiden, ob es rechts oder links herum geht.
2. Die Voraussetzungen
Demjenigen, dem man Verantwortung überträgt,
- muss man Führungsprinzipien an die Hand geben, die er verinnerlichen und leben sollte
- muss man Leitplanken an die Hand geben, in denen er seine Verantwortung wahrnehmen kann
- muss man coachen, ohne ihm Lösungen vorzugeben oder ihm Entscheidungen abzunehmen.
- muss man Kennzahlen aus seinem Verantwortungsbereich zur Verfügung stellen, damit er sehen kann, was seine Entscheidungen bewirkt haben.
- muss man Zeit geben, diese Verantwortung wahrzunehmen und die Entscheidungen verbreiten zu können.
Das Ergebnis
Schafft man es, einen solchen Führungsstil im Unternehmen zu verankern,
- bekommt man hoch motivierte Mitarbeiter, die ihr Engagement und ihre Intelligenz in den Dienst des Unternehmens stellen.
- nutzt man die Intelligenz und Schaffenskraft aller.
- wird der kontinuierliche Verbesserungsprozess systemimmanent.
- nutzt man die Kreativität und Ideen aller.
- kann man flexibel auf alle Herausforderungen und Marktgegebenheiten reagieren.
- wird umgesetzt.
Dann hat man beide Formen der Führung und deren Vorteile vereint.
Ich nenne es „Demokratur“ – die für mich beste Staatsform in einem Unternehmen.
Bleiben Sie uns gewogen – bleiben Sie Lean.
Ihr Bodo Wiegand