Anfang diesen Jahres war ich bei einem Unternehmen mit hohem Lean-Grad in der Fertigung und es ging in dem Gespräch mit dem Vorstand darum, wie man jetzt weiter vorgehen könnte, um das ganze Potenzial zu heben.
An die verwaltenden Bereiche wollte er nicht ran, da dort die Weltchefs in den Funktionen mitreden durften – da wären richtige Potenziale zu holen gewesen. Aber in einer Matrixorganisation lebt es sich, wie schon häufig angemerkt, sehr angenehm. Bevor diese doppelt gesicherten Königreiche eingerissen werden können, braucht es meist eine Krisensituation oder einen neuen Chef. Sie kennen ja meinen Spruch: „Gebe einem Sklaven zwei Herren und er ist ein freier Mann.“
Nun denn. Wir haben also dann über Möglichkeiten in der Fertigung gesprochen und uns auf unserem Rundgang der Instandhaltung etwas intensiver gewidmet. Ganz stolz wurden mir die TPM-Pläne gezeigt, regelmäßig vorbeugende Wartungspläne, Integration der Mitarbeiter in die Wartung. Das ganze Instrumentarium klassisch aufgesetzt und umgesetzt. Der ganze Stolz war eine neue Bandanlage, an der ständig ein Instandhalter gebunden war und Inspektionen, Wartungen und Entstörungen vornahm. „Bei solchen Investitionen muss man sich das leisten können, um keinen Ausfall zu riskieren“, tönte es mir entgegen.
In einem anderen Bereich gab es baugleiche Maschinen, in der nächsten Halle mehrere unterschiedliche Pressen. Außer der Wärmebehandlung (3-schichtig) arbeiteten alle Betriebe 2-schichtig. Nun ist Instandhaltung nicht ein Bereich, in dem man von vorneherein sieht, da ist was drin. Doch mir wollte bei der ganzen perfekten Organisation mein Bauch nicht „toll schreien“, sondern eher gingen die Alarmglocken und sofort kam die Frage „Wie sieht der Wertstrom aus?“ Stolz führte er mich zum Teamleiterraum – dort hing er. Dabei sah ich sofort auf den Zeitpunkt der Erstellung. Der lag 3 Jahre zurück. Nun, ich äußerte meine Bedenken: „Ist die neue Anlage berücksichtigt?“ „Nein“ – diesen Fehler treffen wir sehr häufig an. Wertströme verändern sich mit den Maßnahmen, die ich durchführe und sollten besonders nach Investitionen oder größeren Veränderungen neu überarbeitet werden.
Denn Engpässe wandern und verändern damit auch das Produktionssystem.
Seine Frage, warum denn der Wertstrom für Instandhaltung wichtig ist, haben wir dann wieder in seinem Büro diskutiert. Ich habe ihm über Lean Maintenance berichtet. „Die Instandhaltung nach dem Wertstrom ausrichten? – Warum?“, war die Frage. „Im Wertstrom werden Engpässe aufgedeckt, werden kritische Anlagen aus Kundensicht identifiziert und Prozessstabilitäten transparent. Mit Hilfe der Anlagenprioritätszahl lassen sich Instandhaltungsstrategien sowie Ersatzteilbevorratungsstrategien ableiten“, war die Antwort.
Das war ihm alles zu hoch.
Also – ein zweiter Versuch. Anlagen im Engpass oder mit großer Nähe zum Kunden werden priorisiert, weil sie für die Lieferfähigkeit wichtig sind und der Engpass die Produktion bestimmt. Steht der Engpass, steht das ganze Produktionssystem. Steht die letzte Maschine, die für die Lieferung wichtig ist, erhöht sich der Sicherheitsbestand.
Instandhaltung und Bestände? – der Vorstand verstand nur Bahnhof. „Was hat das Working Capital mit Instandhaltung zu tun?“ „Nun, Sicherheitsbestände werden meist nach der größtmöglichen Unterbrechungszeit bei einer Reparatur und meist mit Personen-abhängigen Aufschlägen hierauf berechnet.“ In diesem Fall waren es drei Wochen.
Es sind meist zwei bis drei Wochen – kein Mensch weiß, warum das so ist.
„Kann mit der Instandhaltungsstrategie das Working Capital reduziert werden?“, war die Frage.
„Sicher“, die Antwort. „Durch die Priorisierung der Anlagen bekommen Sie die Anlagen heraus, die wichtig für die Lieferfähigkeit sind. Dort konzentrieren Sie Ihre Instandhaltungsmaßnahmen und entwickeln Ihre Ersatzteilstrategie. Denn nur dort ist es wichtig, ob diese Anlage ausfällt oder nicht. Hier werden dann mit Hilfe der Schadklasseneinteilung die Komponenten identifiziert, die für eventuelle Ausfälle verantwortlich sein können. Für diese Komponenten werden dann individuelle Instandhaltungsstrategien entwickelt. Das fängt bei verschleißabhängigen wichtigen Komponenten, die nicht vorhersehbar ausfallen mit Sensorüberwachung und geht bis zur Instandhaltungsstrategie „Redundanz schaffen“. Ziel ist es, die Prozessstabilität zu steigern und keinen Ausfall zuzulassen. Hierdurch sinkt die Notwendigkeit von Sicherheitsbeständen. Darüber hinaus bekommt man dann ein Gefühl dafür, was wäre der größte Gau und kann diesen zeitlich einschätzen. Der nächste Schritt besteht darin, die Instandhaltungszeit zu optimieren, d.h. die Entstörungszeiten auf ein Minimum zu reduzieren. Gelingt es, die Instandhaltungsmaßnahme quasi Formel 1-mäßig zu organisieren und entwickelt man darüber hinaus eine daran angepasste Instandhaltungsstrategie, kann man die Instandhaltungszeiten so kurz wie möglich gestalten. Hierdurch können die Sicherheitsbestände weiter gezielt abgesenkt werden. Nicht mehr das Bauchgefühl wird maßgebend sein, sondern klare Instandhaltungsstrategien auf Basis von Zahlen, Daten und Fakten.“
„Aber das ist doch Mehraufwand?“
„Vielleicht bei den Anlagen mit hoher Anlagenprioritätszahl. Aber wieso inspizieren und nehmen Sie schichtweise die Maschinen aus der Produktion, von denen Sie mehrere haben und das im 2-Schichtbetrieb? Fällt eine Anlage aus, kann sie durch eine Andere ersetzt werden. Oder warum beschäftigen Sie einen Mann ausschließlich an Ihrer neuen Bandanlage, die sicher kein Engpass ist? Oder warum lassen Sie ausgiebig Ihre Pressen inspizieren und haben nicht überlegt, wie man einen Störungsfall, z.B. durch den Einsatz einer anderen Presse kompensieren könnte. An solchen Aggregaten brauchen Sie keine vorbeugende Instandhaltung im klassischen Sinne, nur eine richtige Anlagen-bezogene Wartungsstrategie.“
Wichtig ist die Lieferfähigkeit und damit die Prozessstabilität – danach sollten Sie den Instandhalter bewerten und nicht nach Kosten. Die werden mit Lean Maintenance-Ansätzen sicher fallen und sie werden von einer störungsgetriebenen Instandhaltung in eine weitgehend geplante bzw. planbare Instandhaltung kommen mit weniger Aufwand, höherer Prozessstabilität und geringeren Kosten für Sonderaktionen.
Das Ergebnis: Die größtmögliche Reparaturzeit konnten wir von 2,5 Tagen auf 8 Stunden reduzieren. Die Sicherheitsbestände auf zwei bis drei Tage senken und die Instandhaltungskosten für Fremddienstleistungen um 80% verringern.
Die dafür notwendigen Investitionen in Sensorik, Redundanz oder Ersatzteile wurden von der Entlastung im Working Capital mehr als gedeckt. Die jährlichen Entlastungen belaufen sich auf einen niedrigen siebenstelligen Betrag. Der größte Gewinn aber lag darin, dass die Fertigung und die Instandhalter heute gemeinsam an einem Ziel arbeiten und sich als eine Einheit verstehen. Sie gipfelte in der Aussage des zuerst sehr kritischen Instandhaltungsleiters: „Wir möchten an der Produktivität der Fertigung und am Working Capital gemessen werden.“
Er hat es verstanden.
Bleiben Sie uns gewogen – bleiben Sie Lean.
Ihr Bodo Wiegand
Biete diesen Kommentar bei „LEAN macht erfolgreich“ lesen.
Danke,
Freundliche Grüsse,
Thierry de Winter
Besten Dank für diese tolle Nachricht.
Ja, Sie haben Recht, LEAN ist eine besonders gute Philosophie, die den Firmen viel beibringt. Damit wird der Umsatz, die Qualität, die Produktivität deutlich verbessert.
Darf ich einige Ideen zum „Top Performer“ ergänzen?
Top Performer sind bereit, ihre Mitarbeiter zu respektieren und zu unterstützen; regelmässig (d.h., so oft wie möglich) in den Shop Floor zu gehen, die Mitarbeiter zu begrüssen, zuzuhören, zu unterstützen, zu loben.
Davon profitiert natürlich die Firma: zuerst sieht der Top Performer konkret, wo die Stärken und Schwächen seines Unternehmens sind.
Zusätzlich erreicht seine Firma eine optimale Leistung, eine optimale Qualität und daher einen erhöhten Umsatz.
Top Performer benutzen LEAN als „Geschäftsprojekt“, und nicht nur als „Tool“ des Continuous Improvements.
Sind Sie auch dieser Meinung?