Führen im Kollegialitätswahn – geht das?

Was ist denn los in deutschen Unternehmen? Alle sind per Du, alle tragen plötzlich keinen Schlips mehr.

Der Kollegialitätswahn greift um sich.

Auch wenn in Japan alle gleich gekleidet sind, so gibt es dort eine absolute Hierarchie.
Und wenn sich in Amerika oder England alle beim Vornamen nennen, so gibt es dort eine klare definierte Hierarchie – ich bin der da oben und du unter mir. Aber wir in Deutschland verstehen „DU“ anders, du bist der Kollege, du bist der Freund, du der Mensch, der mir nahe ist.

So haben wir also in unseren Unternehmen Kollegen, Freunde und Mitarbeiter installiert, sind modern und teamfähig.

Haben Sie sich schon mal die Auswirkungen dieses kollegialen Wahnsinns angesehen? Jupp fordert Karl auf, die und die Aufgabe bis dann und dann zu erledigen. Karl schafft es nicht und sagt Jupp: „Sorry tut mir leid, habe ich einfach nicht geschafft“. Was macht dann Jupp mit dem Kollegen, Freund und Mitstreiter? – Wahrscheinlich sagt er doch: „o.k. Karl, sieh zu, dass du das erledigst“. Ohne Druck, ohne Zeitangabe wann es erledigt sein müsste und macht es anders als er es machen würde, wenn es immer noch sein Untergebener wäre.

In diese Kollegialitätsfalle tappen nun immer mehr Manager und wissen sich nicht daraus zu befreien.

Und was macht das mit den anderen Kollegen? Wenn Karl nicht liefern muss, dann brauche ich auch nicht pünktlich zu liefern. Dies sind die Schlüsse, die andere Mitarbeiter aus seiner Abteilung ziehen werden.

Die richtige Vorbildfunktion der Führung ist dahin, weil Jupp nicht weiß, wie er gegenüber seinem Duzfreund Karl agieren soll. Schließlich wollen sie ja noch nach der Arbeit ein Bier gemeinsam trinken und Freunde bleiben. Lassen wir das zu, führt uns das Kollegialitätsprinzip in die Anarchie.

Doch die richtige Staatsform beziehungsweise Führungsform für ein Unternehmen ist – aus meinem Verständnis – die Demokratur und nicht die Demokratie oder das Kollegialitätsprinzip.
Wir brauchen die Meinung aller um entscheiden zu können, aber irgendwann muss entschieden werden, ob es rechts oder links herum geht. Dies hat nichts mit Diktatur zu tun, sondern nur damit, dass die Rolle einer Führungskraft auch die Rolle eines Generales beinhaltet. Denn sie beinhaltet nämlich auch, dass er in bestimmten Situation entscheidet, vorangeht, die Entscheidung vertritt und seinen Bereich vor Angriffen von außen schützt.
Was wir häufig vergessen ist, dass es in der Demokratie auch klare Regeln und Gesetze, also Konsequenzen für falsches handeln gibt.

Doch warum wenden wir dies nicht in einer kollegialen „du“ geleiteten Arbeitsumgebung an? Warum nehmen wir nicht die Rolle des Controllers an, der den Kollegen vorhält, du hast nicht zum richtigen Zeitpunkt in der erforderlichen Qualität geliefert? Warum sagen wir dann Karl „sehe mal zu, dass du das jetzt bald erledigst“? Oder warum nehmen wir in allzu vielen Fällen nicht die Rolle des Polizisten ein, der, wenn es Regelverstöße gibt – wie zum Beispiel in der Fertigung keinen Helm tragen, wo er Pflicht ist, oder die erforderlichen Sicherheitsschuhe nicht anhaben oder den Seminarraum unordentlich verlassen oder zu spät kommen – seinen Bußgeldkatalog zückt und die vorher festgelegte Strafen verhängt?

Weitere Rolle der Führungskraft ist die Coachingrolle oder die Trainerrolle. Diese Rollen beinhalten wiederum ein ganz anderes Führungsverständnis. Nämlich die des Helfers, des Unterstützers, des Begleiters und Kollegen.
Warum ist es also so schwer diese unterschiedlichen Rollen zu unterscheiden und in diese unterschiedlichen Rollen situationsbedingt einzutauchen?

Eine Führungskraft soll führen, fördern und fordern.

Warum also fordern wir nicht und nehmen Rücksicht?
Doch nur, weil wir ein falsch verstandenes Führungsverständnis haben und uns diese unterschiedlichen Führungsrollen nicht bewusst sind – UND weil wir keine Unterstützung von oben bekommen!

Liebe Vorstände, Geschäftsführer, Inhaber, Eigentümer, Aufsichtsräte, warum lassen sie Ihre Führungskräfte alleine? Warum geben Sie denen keine Unterstützung an die Hand zum Beispiel in Form einer Eskalationsstrategie, damit Ihre Führungskräfte aus der Freundschafts- bzw. Kollegialitätsfalle ohne Gesichtsverlust raus kommen?

Ordnen Sie zum Beispiel an, – Sie leben ja in einer Demokratur – dass eskaliert werden muss. Wenn jemand ohne Helm durch die Fertigung geht, muss er beim 1. Mal verwarnt werden. Beim 2. Mal hat er beim Betriebsleiter vorstellig zu werden. Natürlich zusammen mit dem Meister. Denn dieser ist ja für dieses Verhalten des Mitarbeiters mitverantwortlich. Beim nächsten Verstoß wird das Gespräch mit dem Produktionsleiter und eine Abmahnung fällig. Klare Regeln mit klaren Konsequenzen helfen. Wenn einer seine Termine nicht einhält oder qualitativ schlecht liefert, muss dem Vorgesetzten eine Möglichkeit gegeben werden, diesen Mitarbeiter in seine Schranken zu verweisen. Beim ersten Mal sicher nur eine Rüge, aber bei dem nächsten Verstoß ein Besuch beim Abteilungsleiter.

Klare Regeln und klare Konsequenzen helfen den Führungskräften aus der Kollegialitätsfalle.

Warum also unterstützen wir nicht mit einer Eskalationspyramide und geben damit eine Möglichkeit, ohne Gesichtsverlust und Verlust eines Kollegen beziehungsweise Freundes richtig zu agieren und die Führungsrolle im richtigen Verständnis wahrzunehmen? Ohne diesen Support von der obersten Führung ist die Führungskraft in einer von Kollegialität getriebenen Organisation fast hilflos ausgeliefert und steht jederzeit zwischen der Entscheidung – etwas mit aller Macht durchzusetzen oder – Kollege und Freund zu bleiben. Dies darf nicht sein. Auf der anderen Seite müssen sich die Führungskräfte jederzeit ihrer Rolle bewusst sein, die sie in bestimmten Momenten einzunehmen hat. Sie muss der Führer sein, der jederzeit sagt wo es langgeht, der Polizist der aufpasst, dass die Sicherheit gewährleistet bleibt und die Gesundheit nicht zu Schaden kommt, der Coach der seiner Mitarbeiter fördert, der Kontrolleur der aufpasst, dass die geforderte Qualität in der geforderten Zeit geliefert wird, der Trainer der die Mitarbeiter befähigt besser zu werden. Er muss eben führen!

Führungskräfte, die dieses Rollenverständnis nicht haben – sind keine Führungskräfte.

Bleiben Sie uns gewogen bleiben sie Lean!
Ihr Bodo Wiegand

P.S.: Noch ein Hinweis in eigener Sache:
Wir suchen Kollegen, die Veränderung gestalten wollen und soziale Kompetenz haben. Bitte melden sich bei uns! Mail an: info@lean-management-institut.de

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