Manchmal bin ich fassungslos.
In der letzten Woche war ich in einem Unternehmen, in das demnächst 12,3 Mio € investiert werden soll, davon 4,8 Mio € in Steine zur Erweiterung des Lagers, 7,5 Mio € in neue Maschinen und Anlagen.
Bei meinem üblichen Rundgang stellte sich dann heraus – Sie ahnen es schon –
- Bestände über Bestände
- Durchlaufzeit normal 3 Wochen – bei Feuerwehraufträgen 2 bis 3 Tage
- OEE zwischen 62 und 75%
Mein Urteil:
Die Investitionen von 4,8 Mio € in Lagerkapazität – reine Verschwendung. Die Investition von 7,5 Mio € in Maschinen und Anlagen könnte sicher noch ein Jahr nach hinten geschoben werden.
Dem Werksleiter war nach unserer Diskussion bewusst, dass viel mehr gewonnen wäre, wenn zuerst die Organisation verbessert, die Durchlaufzeiten reduziert und die Maschinen und Anlagen mit einem höheren OEE laufen würden.
Sein Dilemma, dafür hatte er kein Budget und keine Ressourcen.
Mein Vorschlag, dann solle er doch das Investitionsprojekt Lagervergrößerung – Return of Investment > 10 Jahre – streichen und dafür ein Projekt: „Ich bilde meine Leute aus, optimiere mit Ihnen die Prozesse, senke die Bestände, erhöhe den OEE und starte einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess“ beantragen mit einem Return of Investment unter einem Jahr.
„Gute Idee“, sagte der Werksleiter, „aber Ausbildung der Mitarbeiter und Prozessverbesserung sind bei uns keine Investitionsprojekte.“
„Außerdem liege das Ausbildungsbudget beim Personalvorstand und die Prozessverbesserungen müssten vom Vorstand für Organisationsentwicklung/IT angestoßen werden.“
Da könnte doch einem der Hut platzen
- bezüglich des Ressortgerangels. Ich meine, Personalvorstand und Vorstand für Organisationsentwicklung & IT sind wichtige Ressorts. Aber wo entsteht die Wertschöpfung?
und - warum sind Projekte wie die Einführung von Lean Management keine Investitionsprojekte?
Geschäftsführer, Vorstände und Eigentümer – das kann doch nicht Ihr Ernst sein?
Nach einem Jahr würden Sie das Werk nicht wiedererkennen. Sie hätten es mit motivierten Menschen zu tun, die gerne miteinander zusammenarbeiten und nachhaltige Verbesserungsideen generieren, die es gemeinsam geschafft hätten
- die Durchlaufzeit von drei auf eine Woche zu reduzieren,
- das Working Capital zu halbieren und
- den OEE auf jenseits der 75% im Durchschnitt zu verbessern.
Nein, das sind keine Traumzahlen in anderen Unternehmen, oft erlebt und häufig bewiesen – und dieses Dilemma ist kein Einzelfall.
In einem anderen Unternehmen wurden die Investitionen ohne Planungs- und Realisierungskapazitäten genehmigt – geschweige denn Manpower für die Prozessoptimierung bzw. Prozessanpassung im Wertstrom eingeplant. Denn – wie wir alle wissen – ändert sich mit einer Investition auch der Wertstrom.
Und warum nicht? „Ja, dann würde ja der ROI größer als 3 Jahre sein und sich das Projekt nicht rechnen.“
Ach soooooo?
Meine Frage nach den Arbeitszeiten für die Führungskräfte – im Durchschnitt 10 bis 12 Stunden täglich. Na, dann kann man ja da noch was drauf packen.
Womit wir wieder bei der größten Verschwendung angekommen sind. Die Verschwendung von Human Capital bzw. unserer gut ausgebildeten Fach- und Führungskräfte, die ich mit solchen Arbeitszeiten und zusätzlichen Belastungen vor die Wand fahre – Herzinfarkt und Burn out vorprogrammiert.
Ein anderes Unternehmen hat eine Unternehmensakquisition getätigt und dafür zig Millionen investiert. Darin war auch ein Budget für die Integration verplant. Die Nachfrage, welche Kosten darin abgedeckt sind, wurde folgendermaßen beantwortet: Anpassung der rechtlichen Rahmenbedingungen, corporate identity schaffen, etc. … bis zu dem neuen Briefpapier. Alles richtig – alles wichtig.
Doch für die Integration der Mitarbeiter, die Gestaltung der neuen Abläufe und Verfahren, der Aufbau eines gemeinsamen Wertesystems, die Abstimmung einer gemeinsamen Sprache – der eine hatte 5S, der andere 6S, die einen 10 Arten der Verschwendung, die anderen 7 Arten –, und, und, und. Dies sollte die Organisation alleine schaffen. So dauert die Integration Jahre, wenn sie überhaupt gelingt – in dem Sinne – wir sind wir und die sind die.
So werden Millionen verprasst, weil man die falschen Schwerpunkte setzt und die Prozesse und die Ausbildung der Mitarbeiter als nebensächlich ansieht.
Doch das Herz jedes Unternehmens sind stabile Prozesse und gut ausgebildete Mitarbeiter, die den kontinuierlichen Verbesserungsprozess täglich leben und mit der Zeit zu einer selbstlernenden Organisation werden. Geschäftsführer, Vorstände und Eigentümer
wenn Sie glauben, Investitionen in Maschinen, Anlagen, IT und Steine sind wichtiger als stabile Prozesse und motivierte Mitarbeiter,
wenn Sie glauben, dass Sie Ihr Unternehmen durch Investitionen produktiver und wettbewerbsfähiger machen können, ohne die Prozesse und die Menschen dabei zu berücksichtigen,
dann müssen Sie sich nicht wirklich fragen, warum sich trotz vieler Investitionen nicht viel geändert hat und sie nicht wirklich wettbewerbsfähiger geworden sind.
Mein dringender Apell an Sie:
- Investieren Sie in stabile Prozesse.
- Investieren Sie in die nachhaltige Veränderung des Mindsets Ihrer Führung und Ihrer Mitarbeiter.
- Investieren Sie damit in die Zukunft Ihres Unternehmens.
Das Ziel – die selbstlernende Organisation mit motivierten Mitarbeitern, mit stabilen Prozessen und einen damit einhergehenden kontinuierlichen Verbesserungsprozess – Werte ohne Verschwendung zu schaffen – lohnt sich allemal und hat zudem einen kurzen Return of Investment.
Bleiben Sie uns gewogen – bleiben Sie Lean.
Ihr Bodo Wiegand