Industrie 4.0 (Teil 1) – Ohne stabile Prozesse geht gar nichts

Diese Woche war ich bei einem Unternehmen, das auf dem Weg ist, Industrie 4.0 umzusetzen. Alle Maschinen waren vernetzt. Der Geschäftsführer konnte von seinem Platz aus sehen, welche Maschinen liefen – welche nicht. Alle Daten wurden zentral erfasst und dem Maschinenbediener vor Ort auch angezeigt. Der Trend war schnell zu sehen. Ein Drittel der Maschinen hatte eine Störung. Bei einem OEE von durchschnittlich 62% liefen die Maschinen eben nicht immer.

„Solange wir keine neuen Maschinen kaufen, müssen wir damit leben“, war seine Antwort auf meine Frage.

Ja, es waren nicht die neuesten, doch auch ältere Maschinen brauchen nicht ölverschmiert und verschmutzt zu sein, auch wenn Späne erzeugt werden.

Auf Nachfrage wurde der Fire-Fighting-Faktor von den Instandhaltern mit größer als 75% angegeben. Der Chef wusste es genau: 76,6%. Ein OEE von 62% und 76,6% Fire Fighting heißt im Klartext: In diesem Unternehmen gibt es keine stabilen Prozesse.

Aber was treibt intelligente Geschäftsführer dahin, sein ganzes Unternehmen zu vernetzen, nur um festzustellen, dass die Prozesse instabil sind.

Bei einigem Nachdenken hätte man dies auch ohne Vernetzung feststellen können und zuerst einmal in die Prozessstabilität investieren müssen. Denn Industrie 4.0 auf Basis von instabilen Prozessen einführen – wird scheitern. Die entscheidende Frage also: Wie schaffe ich es, die Prozesse zu stabilisieren und ungeplante Stillstände zu vermeiden?

Die Prozessstabilität der Fertigungsprozesse selbst bildet die 1. Voraussetzung, um eine Basis für die Einführung von Industrie 4.0 zu schaffen. Hierzu ist es nötig, die Prozessstabilität der Anlagen zu messen und mit geeigneten Maßnahmen abzusichern. Der Werkzeugkasten 6 ʕ bietet hier zahllose Möglichkeiten. Doch wo fange ich an? Welche Anlage kommt dann? Hier hat sich die Vorgehensweise der Anlagenpriorisierung aus dem Lean Maintenance-Konzept bewährt, allerdings mit der zusätzlichen Komponente des Verursacherprinzips. Das heißt, haben wir auf Basis des Wertstroms die Anlage X als Priorität 1 identifiziert, gilt es die Ursache für eventuelle Instabilitäten herauszufinden. Dabei ist zu beachten, dass diese auch außerhalb der Anlage, zum Beispiel in den Vorprodukten begründet sein können.

Die Prozessstabilität ist nicht nur für die Qualität wichtig, sondern auch für die Planbarkeit.

Sind meine Prozesse nicht stabil, kann ich nicht richtig planen. Alle Planungen auf Basis instabiler Prozesse werden meist stündlich verworfen und bringen somit Unruhe in die Fertigung. Es entstehen Wartezeiten, zusätzliche Rüstzeiten, Sicherheitsbestände werden erhöht, Transporte werden notwendig – alles Verschwendung in höchstem Grade.

Damit kommen wir zum 2. Ansatzpunkt: Ungeplante Maschinenstillstände sind zu vermeiden.

Das wertstromorientierte Instandhaltungskonzept Lean Maintenance mit dem Ziel Instandhaltungszeit Null bildet für die Instandhaltungsstrategie und Instandhaltungsorganisation optimale Ansätze, stabile Prozesse in Bezug auf Planbarkeit und Zuverlässigkeit zu etablieren und gleichzeitig Instandhaltungskosten zu senken, Die Konzentration auf die für den Wertschöpfungsprozess wichtigsten Anlagen und die Verbesserung der Planbarkeit auf über 95% hilft, Ressourcen zu schonen und die Instandhaltung zu einem wichtigen Produktionsfaktor zu machen.

Das Lean Maintenance-Konzept baut auf dem Wertstrom auf, priorisiert die Anlagen, die für die Belieferung des Kunden im Kundentakt wichtig sind. Zu aller erst natürlich die Anlage, die den Engpass bildet.

Für diese Maschinen gilt: Möglichst keine ungeplanten Ausfälle.

Nun, wie erreicht man dieses. Hierzu haben wir die Schadklasseneinteilung für die Komponenten dieser Anlagenklassen entwickelt. Das heißt, jede Maschine wird in ihre Komponenten zerlegt und die Ausfallwahrscheinlichkeit dieser Komponenten berechnet. Führt der Ausfall der jeweiligen Komponente dazu, dass es zu einem ungeplanten Maschinenstillstand kommt, wird die für diese Komponente richtige Instandhaltungsstrategie entwickelt.

Handelt es sich zum Beispiel um eine verschleißabhängige Komponente, wählt man zumeist den Weg, den jeweiligen Abnutzungsgrad mit Hilfe von Sensoren zu messen, um damit den richtigen Instandhaltungszeitpunkt zu ermitteln. Falls dies nicht möglich ist, tauscht man diese Komponenten auf Basis von Erfahrungswerten vorbeugend, also geplant, aus.

Bei elektrischen Komponenten, die nicht voraussehbar ausfallen, bietet sich bei diesen wichtigen Anlagen auch die Instandhaltungsstrategie – Redundanz an.

Um Schadensentwicklungen von Anlagen vorhersehbar zu machen und damit Schadensfälle zu vermeiden haben sich auch Messgeräte, wie zum Beispiel Wärmebildkameras, Schwingungsaufnehmer oder akustische Messgeräte bewährt. Es gilt, ungeplante Stillstände zu vermeiden, um Planungssicherheit zu erreichen.

Wenn trotzdem Stillstände auftreten, muss alles getan werden, damit die Entstörzeiten nicht höher sind als der Kundentakt.

Darüber hinaus bilden Anlagenpriorisierung und Schadklasseneinleitung die Voraussetzung, um Strategien für die Ersatzteilbevorratung und Werkzeugbereitstellung zu entwickeln.

Für mich sind stabile Prozesse in Bezug auf Prozessstabilität und Planbarkeit die Voraussetzung für die Umsetzung der Vision Industrie 4.0.

Unternehmen, die dies ignorieren, sind vielleicht vernetzt, aber werden nicht ernten können, was sie gesät haben.

Im Teil 2 werde ich auf das Thema Industrie 4.0 und Führungsverhalten näher eingehen.

Bleiben Sie uns gewogen – bleiben Sie Lean.

Ihr Bodo Wiegand

1 Gedanke zu „Industrie 4.0 (Teil 1) – Ohne stabile Prozesse geht gar nichts“

  1. Guten Tag,
    ich bin Professor für Produktionswirtschaft mit einer beruflichen Vergangenheit bei Bosch und finde Ihre Kommentare sehr interessant und treffend.

    Könnten Sie vielleicht so nett sein und mich auf Ihren Verteiler der Wigandswarte setzen,

    vielen Dank
    Martin Jordan

    Antworten

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