Längst hat sich herumgesprochen, dass eine Revolution im Gange ist, die sämtliche Branchen und Unternehmen betrifft: Mit Industrie 4.0 kommen grundlegende Veränderungen auf uns zu – Stichwort: Disruption.
Die vielen Artikel und Bücher über Industrie 4.0 schreiben über den zukünftigen Zustand. Maschinen tauschen Informationen untereinander aus. Komponenten melden, wo sie sich befinden und bekommen Informationen, wann und wo sie hinmüssen, Steuerprogramme reagieren, wenn Maschinen ausfallen und Produkte werden quasi von selbst ohne Einfluss des Menschen gefertigt. Eine schöne Aussicht und eine Idee für die Zukunft. Es wäre eine Revolution, die uns selbst in Hochlohnländern erlauben würde, Produkte zu fertigen, die früher mit hohen Lohnanteilen behaftet waren.
Tatsächlich hat die Digitalisierung weitreichende Konsequenzen auf unsere Art zu wirtschaften, zu denken und zu leben: Neue Geschäftsmodelle entstehen. Industrielle Prozesse werden optimiert und Fertigungsprozesse revolutioniert. Maschinen fangen an, sich selbst zu warten. Und im Internet of Things beginnen Dinge, eigenständig miteinander zu kommunizieren. Schon bald werden Computer keine Werkzeuge mehr sein, sondern jedes Unternehmen eine digitale Organisation.
Doch diese Kette der Informationen hat eine Voraussetzung: Das ganze Produktionssystem muss richtig dimensioniert, alle möglichen Störeinflüsse beherrschbar, jede Variante berücksichtigt werden und alle Prozesse müssen darauf ausgerichtet sein.
Diese Vorstellung des Zielzustandes ist eine Vision, die man anstreben muss und als Vision vor Augen haben sollte, wenn man ein analoges Unternehmen strategisch ausrichten und in die digitale Zukunft führen will.
Hiermit sind ungeahnte Potenziale zu heben und gegenüber den Wettbewerbern entscheidende Vorteile zu erlangen.
Doch das Thema Industrie 4.0 scheint vollständig in die Hände der IT gefallen zu sein. Big Data, Vernetzung, Digitalisierung, und, und, und sind hier die Schlagworte.
Die meisten Unternehmen investieren enorme Summen in ihre digitale Zukunft. Da werden keine Kosten und Mühen gescheut, um alte Datenbestände auf den neuesten IT-Standard zu bringen. Da werden Sonderschichten gefahren, um das Erfahrungswissen aller Mitarbeiter in umfassende IT-Systeme zu transferieren. Da werden teuerste Berater engagiert, die exklusive Softwarelösungen entwickeln, mit denen man sich für die digitale Zukunft gewappnet glaubt. Doch schnell entstehen Probleme.
Denn die Fragen: Wie wird das heutige, konventionell arbeitende Unternehmen die Herausforderungen der Industrie 4.0 schaffen? Wie kann ich dort, ohne Risiko für mein Unternehmen zu generieren, hinkommen? Wie schaffe ich den Weg zur Industrie 4.0? Diese Fragen stehen in vielen Gesichtern, doch bisher gibt es keine schlüssigen Antworten auf diese Fragen. Bücher gibt es nur für IT-Unternehmen und einige Maschinenbauunternehmen, die ihre Lösungen zur Industrie 4.0 vorstellen und gebetsmühlenartig proklamieren: „Wenn Ihr unsere Programme, Maschinen und Anlagen benutzt, werdet ihr zu einem Industrie 4.0-Unternehmen.“
Die Beschreibungen dieser Ideen sind zukunftsweisend. Doch keiner hat bisher formuliert, wie der Weg zu diesem Ziel aussehen könnte.
Schließt man den Fall aus, dass ein Unternehmen die alten Strukturen, Maschinen, Prozesse, Mitarbeiter über Bord wirft und auf der sogenannten grünen Wiese etwas völlig neues aufbaut, muss die Frage gestellt werden, „wie schaffe ich es von dem heutigen Zustand einer mehr oder weniger analogen Fertigung zu meiner Vision eines digitalisierten Unternehmens – eines Unternehmens der Industrie 4.0?“
Einige Unternehmen versuchen allzu oft, ihr bisheriges Geschäftsmodell eins zu eins ins Netz zu transformieren – und verkennen dabei das Beharrungsvermögen veralteter oder verkrusteter Strukturen. Funktionen, Königreiche oder Abteilungen bringen den Wertschöpfungsprozess zum Stocken.
95% der Unternehmen im deutschsprachigen Raum sind immer noch funktional organisiert. Lediglich in der Produktion hat man es in vielen Fällen geschafft, von der Werkstatt- zur prozessorientierten Fließfertigung umzustellen. Doch Schnittstellen sind Störungen und verursachen erhebliche Ineffizienzen. Denn an den Schnittstellen zwischen den Funktionen entsteht unweigerlich Verschwendung, weil die funktionalen Optimierungen den über Schnittstellen hinweg laufenden Prozess nicht unterstützen und so kein Gesamtoptimum erreicht wird.
Fängt man an, solche funktionsorientierten Unternehmen in die Digitalisierung zu schicken, digitalisiert man ineffiziente oder instabile Prozesse, digitalisiert man Verschwendung und automatisiert deren Produktion!
Lesen Sie in Teil 2 was zu tun ist.
Wie es geht und wie man diesen Weg erfolgreich bewältigen kann, werde ich auf unserem 12. Lean Management Summit am 3. und 4. November in Düsseldorf aufzeigen.
Darüber hinaus gibt es weitere interessante Vorträge und Gesprächsrunden zu diesem Thema.
Bleiben Sie uns gewogen – bleiben Sie Lean.
Ihr Bodo Wiegand
Hallo Herr Dr. Wiegand, ich kann Ihrem Beitrag nur zustimmen. Industrie 4.0 ist nur der nächste Hype. Industrie 4.0 und Software lösen keine organisatorischen Defizite, sondern verschärfen sie – „Shit in – Shit out – Shit happens“. Nur der Mensch kann die damit verbundenen Aufgaben lösen mit Gründlichkeit und Sorgfalt vor Schnelligkeit. Software dient dabei nur als Unterstützung. Auf eine anregende Diskussion. Mit freundlichen Grüßen P. Kirsch
Hallo Herr Dr. Wiegand, ich bin begeistert. Sie treffen aus meiner Sicht den Nagel mittig auf den Kopf. Ich bin auf die Reaktionen gespannt. 🙂 Bis demnächst. Mit vielen Grüssen. W. Lumpp