Der Einkauf – Falsch verstanden?

Wie immer bilden die genannten Fälle nur absolute Ausnahmen.

Der erste Fall

Seit meinen frühen Managertagen als Leiter der Kurbelwellenschmiede von Thyssen Umformtechnik hege ich ein besonderes Verhältnis zum Einkauf. Damals hatten wir plötzlich zwei Gesenkbrüche in einer Woche. Zur damaligen Zeit ein Wert von 200.000 DM je Gesenk. Nach dem ersten haben wir natürlich sofort Untersuchungen angestellt, was mit dem Gesenk los war und haben leider am verkehrten Ort geforscht – in der Gesenkhistorie und im Gesenkbau.

Nach dem zweiten Bruch war natürlich dann Großalarm.

Die Lösung, war dann ganz einfach. Der Einkauf – in seiner großen Weisheit – hatte einen neuen Sprühmittellieferanten ausgeguckt und uns dieses Sprühmittel untergeschoben. Sein Argument, wir hätten dieses ja doch abgelehnt und außerdem, unsere Konkurrenz käme damit super zurecht und dieses Sprühmittel war 8% billiger.

Natürlich hätten wir diesen Lieferanten abgelehnt. Warum?

Wir hatten mit unserem Zulieferer zwei Jahre ein neues Sprühmittel entwickelt, um mit einer kleineren Gesenkschräge schmieden zu können. Hierdurch hatten wir entscheidende Wettbewerbsvorteile gegenüber unserer Konkurrenz erlangt.

Da weniger Material an den Wangen war, konnte der Kunde fast die Hälfte der Bearbeitungszeit einsparen. Dies war für den Kunden mit riesigen Einsparungen verbunden, wenn man denn die Gesamtkosten betrachtet.

Ein mit Tantiemen verbundenes Ziel des Einkaufs war es, die Kosten zu senken. Das wir für diese Kurbelwelle bessere Preise realisieren konnten, war dem Einkauf egal. Sie hatten ihre Ziele. Trotz dieses Vorfalls wurden die Ziele damals nicht geändert.

Übrigens wollte der Einkauf des Kunden uns dann auf die Konkurrenzpreise drücken. Da hätten Sie aber mal den Werksleiter dieses Automobilkonzerns erleben müssen …

Regel Nr. 1 : Schau nicht auf den Preis sondern auf den gesamten Prozess, d.h. auf die Prozesskosten und die im Lebenszyklus anfallen bzw. erwarteten Gesamtkosten.

Der zweite Fall

Das Zielsystem des Einkaufs im zweiten Fall : Kosten senken – sonst macht das ja keiner.

Der absolute Qualitätslieferant dieser Branche bezog bis vor 3 Jahren Elektromotoren aus Deutschland und Europa. Der europäische Lieferant wurde durch einen asiatischen Lieferanten ausgetauscht. Erfolgreich und ohne Probleme. Letztes Jahr wurde die deutsche Quote auch an einen weiteren asiatischen Lieferanten vergeben. Wiederum ohne Probleme.

Anscheinend.

Einem langjährigen Mitarbeiter der Qualitätskontrolle ist es zu verdanken, dass nicht mehr Schaden entstanden ist.

Auf den absolut hohen Qualitätsstandard des Produktes eingeschworen, traute er dem Braten nicht recht und machte zusätzliche Ermüdungstests bei jeder ankommenden Charge. Bei den letzten Chargen fand er heraus : Nach 2 Jahren Betriebsdauer hätten diese Antriebsaggregate ihr Leben ausgehaucht. Zu seinem größten Entsetzen wären die Motoren des zweiten Lieferanten mit gleicher Ursache ebenso nach 2 Jahren ausgefallen.

Bei der Auslieferung von 400 Geräten pro Tag wäre das Qualitätssiegel bald in Frage gestellt worden.

Doch, was war passiert?

Die beiden Lieferanten hatten rein zufällig den gleichen Eigentümer, der zufällig im gleichen Konzern angesiedelt war, in dem natürlich auch rein zufällig der größte asiatische Konkurrent beheimatet ist.

Bei einer gewissenhaften Unternehmensrecherche wäre es kein Problem gewesen, diese Verschachtelungen aufzudecken.

Regel Nr. 2 : Der Einkauf macht seine Hausaufgaben in alle Richtungen gründlich.

Der dritte Fall

Das Ziel des Einkaufs : Einkaufserfolge realisieren

Ein Unternehmen möchte neue Maschinen für eine Kapazitätserweiterung anschaffen. Der bisherige Lieferant stellt eine gut zu wartende mit Ferndiagnose bestückte Anlage mit hohem Anteil von Gleichteilen zu den Altanlagen vor. Hierdurch könnte ein Großteil der auf Lager liegenden Ersatzteile genutzt werden. Doch sie ist ein Drittel teurer als das vergleichbare Konkurrenzangebot. Wir haben uns dann mal die nachfolgenden Prozesskosten für Wartung, Instandsetzung und Ersatzteilbevorratung angeschaut. Nach 13 Monaten war der Mehrpreis verfrühstückt.

Regel Nr. 3: Schaut nicht auf den Preis, sondern die Leistung. In diesem Fall auf die gesamten Lebenszykluskosten.

Ich denke, der Einkauf ist ein wichtiger Bestandteil des Unternehmens. Er darf sich aber unter keinen Umständen verselbstständigen und nur das Ziel Kosten senken verfolgen. Er muss

  1. die gesamten Prozesskosten über die gesamte Lebensdauer in seine Betrachtungen mit einbeziehen.
  2. den Preis immer in Relation zur Leistung oder dem ROI sehen.
  3. seine Hausaufgaben bezüglich der Lieferantenbasis gründlich machen.

Das heißt, er sollte sich als Teil der gesamten Wertschöpfungskette sehen und damit am gesamten Erfolg des Unternehmens gemessen werden und keine Eigenoptimierung entwickeln.

Denn – billig kann teuer werden.

Bleiben Sie uns gewogen – bleiben Sie Lean.

Ihr Bodo Wiegand

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