Sorry, liebe Wiegands Warte-Leser. Ich war nicht faul in den letzten Monaten, sondern habe an meinem neuen Buch gearbeitet, dass Ende des Jahres beim Springer Verlag veröffentlicht wird. Der Titel lautet: Wege aus der Digitalisierungsfalle – Mit Lean Management erfolgreich in die Industrie 4.0.
Ich werde mich bemühen, jetzt wieder häufiger zu schreiben und die liegengebliebenen Themen aufzuarbeiten. Eines dieser Themen war das Thema Kuscheln.
Führungsstile
Demokratur als Führungsform
Im letzten Jahr haben wir zwei Unternehmen erfolgreich von der Wertstromorientierung und Mindset-Veränderung zur Prozessorientierung geführt. Also die Sekundärprozesse der Funktionen in die end-to-end-Prozess (Primärprozesse) integriert.
Da 80% der Prozesse in beiden Unternehmen in optimierten Wertströmen abgebildet waren, war dies eigentlich eine lösbare Aufgabe. Doch beide Unternehmen unterscheiden sich sehr stark im Führungsstil. Was wiederum massiv die Umsetzungsgeschwindigkeit beeinflusst hat.
Das eine Unternehmen wurde von einem Geschäftsführer mit starker Führungspersönlichkeit geführt nach dem Motto: Die anstehenden Themen werden diskutiert und jeder durfte seine Meinung sagen und mitdiskutieren. Konnte man sich nicht auf eine gemeinsame Position einigen, hat er entschieden. Wie Sie wissen, ist dies eine Form der Führung, die ich stark unterstütze. Ich nenne sie Demokratur. Der Entscheidungsprozess wird gemeinschaftlich geführt. Wenn es keinen gemeinschaftlichen Konsens gibt, muss eine Entscheidung getroffen werden, ob es rechts oder links herum geht.
Konsens und Führung
In dem zweiten Unternehmen trafen wir auf eine vollkommen andere Führungskultur. Alle Entscheidungen wurden im Konsens getroffen und im Zweifel nicht verabschiedet. Der Entscheidungsprozess dauerte viel länger, war mühsamer und die Ergebnisse voller Kompromisse. Dies führte letztendlich dazu, dass das Projekt länger dauerte und die Erfolge hinter den möglichen Effizienz- und Effektivitätssteigerungen blieben.
Schauen wir uns diese beiden Führungsphilosophien etwas genauer an.
In dem zweiten konzerngeführten Unternehmen gab es einen Vorsitzenden der Werksleitung, 6 Bereichsleiter, 10 Abteilungsleiter und 16 Teamleiter sowie 12 Meister. Die Führungsspanne in der Fertigung lag bei durchschnittlich 30 Mitarbeitern – eigentlich zu hoch – und im indirekten Bereich bei durchschnittlich 5 Mitarbeitern – eigentlich zu niedrig. Der Anteil der indirekten Mitarbeiter zur Gesamtbelegschaft belief sich auf 35%.
Dieses Missverhältnis veranlasste den Vorstandsvorsitzenden des Konzerns, die Prozessorientierung zu fordern. Letztlich war ein klares Statement des 7köpfigen Vorstandes in unserem Strategieworkshop Wir stehen hinter diesem Projekt der Grund dafür, warum wir dieses Projekt angenommen haben.
Doch es fing gut an. Wir haben mit der Werksleitung dann besprochen, einen 3-tägigen Workshop außerhalb des Werkes zu machen. Die Antwort war prompt und auf gemeinschaftlichem Konsens basierend. Also 3 Tage könnten sie nicht aus dem Werk fern bleiben und das Wochenende – Herr Wiegand – gehört der Familie. Letztlich hatten wir 6 Stunden.
Nach der Positionsbestimmung und den wenig schmeichelhaften Ergebnissen hieraus, verlangte der Vorstandsvorsitzende in 6 Monaten Ergebnisse sehen zu wollen. Danach wurden die Kuschelreihen dann endgültig geschlossen und wir in die Kuschelsümpfe geschickt.
Es wurde kein Termin eingehalten. Der monatliche Lenkungskreis wurde zu einer Veranstaltung der Ausreden warum etwas nicht fertig war oder geklappt hat.
Sollten Entscheidungen getroffen werden, mussten diese gemeinsam getroffen werden, immer nach dem Motto wenn wir das gemeinsam entscheiden, dann stehen wir alle dahinter, dann werden diese auch umgesetzt.
Hieraus wurde dann die Notwendigkeit abgeleitet, weitere tiefere Untersuchung anzustellen, weitere tiefere Information zu generieren. Da es keine 100%ige Information gibt, handelte es sich hierbei meist nur um Ausflüchte und Verzögerungstaktiken, hinter der sich die gesamte Werksleitung versteckte.
Sobald eine Entscheidung sachlich nicht mehr zu torpedieren war, wurde dann das Argument angeführt, dass der und der dagegen ist und so die Umsetzung nie klappen wird. Das hieß, wir mussten eine andere Lösung finden, sodass jeder zustimmen konnte. Es war einfach nur grausam. Aber was waren die Gründe für so ein auf unbedingten Konsens ausgerichtetes Verhalten?
Wir haben festgestellt, dass in solchen konsensgetriebenen Unternehmen sich alle Duzen und meist ein falsch verstandener Umgang mit dem Du gepflegt wird.
Denn wie schwierig es ist, mit diesem Kollegialität implizierenden Du umzugehen, sieht man immer sehr schön, wenn ein früherer Kollege Chef wird und plötzlich Franz unter Karl arbeiten muss. Dies zu unterscheiden und richtig zu managen, schaffen nur wenige. Denn ganz menschliche Charaktereigenschaften treten zu Tage, die auf der kollegialen Ebene nicht aufgetreten sind. Dies geht über das Thema Neid warum der und nicht ich weiter über die Themen ich kenne deine Schwächen, deshalb lasse ich mir von dir gar nichts sagen oder über die Fachlichkeit auf meinem Gebiet bin ich der Fachmann, also erzähle mir nichts bis zu persönlichen Themen ich bin dein Freund und das kannst Du mit mir nicht machen.
Das heißt, wird die Linie zwischen dem beruflichen Du und dem privaten Du nicht rasiermesserscharf gezogen, tritt der – ich nenne ihn mal – Kuschelfaktor immer stärker in den Vordergrund.
Gegen diese Unternehmenskultur ist ja eigentlich nichts zu sagen, solange zwischen dem beruflichen Du und dem Du der Privatsphäre scharf getrennt wird. Doch leider verführt das Du meist dazu, diese eigentlich harte Grenze aufzuweichen. Gibt es dann noch gemeinsame sportliche oder kulturelle Interessen, wird es schwierig, diese Beziehungen glasklar zu trennen.
Ein anderes Phänomen, was wir immer wieder erleben und anscheinend mit dieser Form von Führungskultur einhergeht, betrifft das Thema Trouble Shooting oder Fire Fighting.
Ein Problem tritt auf, zum Beispiel Material fehlt.
A müsste eigentlich im morgendlichen Meeting darüber berichten. Er tut es aber nicht, um B zu schützen und nicht anzuprangern. B verspricht A, dass das Problem morgen gelöst ist. Ist es aber nicht. A berichtet wieder nicht. A haut B wieder an. Der verspricht wieder, es zu lösen, hält aber nicht sein Versprechen, usw. Erst als es fast zu spät ist und nur noch ein Eiltransport, das heißt zusätzliche Kosten, dieses Problem lösen konnte, benennt A das Problem in der morgendlichen Sitzung und stellt auch die Lösung dar.
Auf die Frage, warum er denn nicht schon vorher Alarm gegeben hat, antwortet er, er könne doch nicht dem Kollegen, den er dann nicht benennen wollte, in die Pfanne hauen.
Kuscheln at it‘s best!
Doch, er kann und muss es sogar.
In solchen Kuschelorganisationen geht es leider weniger um die Sache, sondern mehr um Personen, Gesichtsverlust, Positionen und Machtspielchen. Zwei Drittel der Zeit einer Führungskraft wird meist mit diesen völlig sinnlosen Spielchen vergeudet, wird stundenlang in irgendwelchen Sitzungen herumgehangen und Fire Fighting betrieben. Dabei fühlen sich alle glücklich, immer nach dem Motto Das haben wir ja jetzt noch mal gerade so hinbekommen. Ohne uns würde ja hier nichts klappen.
Weil es nicht um die Sache, sondern um Personen geht, werden die Probleme gemanaged nach dem Motto Wir haben bisher noch jedes Problem gelöst und nicht nach der Ursache geforscht.
Diese krause – aus meiner Sicht – völlig schwachsinnige Denkweise finden wir leider viel zu häufig und besonders verbunden mit Kuschelorganisationen. Diese sogenannten Manager verstehen, oder wollen es nicht verstehen, dass jedes Problem eine Störung im Prozess bedeutet und damit eine Chance beinhaltet, besser zu werden. Dazu muss man aber dann bei dem Auftreten eines Problems die Ursache analysieren und Abstellmaßnahmen definieren, dass dieses Problem nie wieder auftritt. Dazu aber brauchen wir eine Organisation, die der Sache frönt und nicht der Person.
Im aufgezeigten Fall hätte A das Problem sofort bekannt geben müssen, eventuell B mitnehmen und ihn nach der Ursache befragen müssen. Auch wenn die Ursache ich habe es einfach vergessen gewesen wäre, hätte man dann bei B ansetzen können und ihn im Thema Projektmanagement schulen sollen, damit dies in seiner persönlichen Arbeitsorganisation nicht mehr auftritt.
Probleme sind Chancen zur Verbesserung
Kommen wir zurück zu unserem Projekt in der Kuschelorganisation. Nun, nach 3 Monaten kuscheln bin ich zum Vorstandsvorsitzenden und habe ihm das Problem erläutert und ihn gebeten, einfach nur jeden Monat da zu sein. Daraufhin hat der für das Unternehmen zuständige Vorstand mehr Interesse gezeigt, war häufiger vor Ort. Der Werksleiter hat mich daraufhin gefragt, was denn jetzt los sei. Ich habe ihm offen und ehrlich gesagt, was ich mit seinem ChefChef besprochen habe. Daraufhin haben wir an einem langen Abend einen Plan entwickelt, wie wir die Kuh vom Eis bekommen. Wir haben dann einen Führungsworkshop außerhalb des Werkes am Freitag und Samstag durchgeführt – geht doch – und neue Regeln für den Umbruch festgelegt und dann knallhart eingefordert.
Nach 6 Monaten intensivem Coaching und Führung des Projektes haben wir das Projekt mit viermonatiger Verspätung über die Bühne gebracht. Was für ein Mehraufwand! Mit der neuen Organisation wurden Seilschaften bewusst zerschlagen. Ein intensives Coaching der Führungskräfte wird fortgesetzt und doch …
sie kuscheln immer noch …
Bleiben Sie uns gewogen – bleiben Sie Lean.
Ihr Bodo Wiegand
P.S.: Erfahren Sie in der nächsten Wiegands Warte Führen erlaubt , wie das Projekt in dem ersten Unternehmen gehandhabt wurde.
Hallo Hr. Wiegand,
Da haben Sie uns aber nach dem ruhigen Sommer mal richtig aufgeweckt! Zum Teil drei Beiträge pro Tag, da kommt man ja gar nicht mehr hinterher die alle zu lesen, geschweige denn zu verinnerlichen!
😉
Schön, daß Sie wieder da sind für uns.
Viele Grüße
Tut uns leid – wir mussten wegen eines Datenverlusts einige Warten neu aufspielen …, das ist jetzt beendet und Sie erhalten nur noch neue Warten in unregelmäßigen Abständen!