zu Teil 1 von: Wie de-motiviere ich meine Mitarbeiter?
Zweites Beispiel
In einem als fortschrittlich geltenden Krankenhaus in einer Großstadt wurden wir angesprochen, den Einweisungs- und Entlassungsprozess zu optimieren. Wir beginnen solche Projekte immer mit einer IST-Analyse und im Zuge dessen mit sogenannten Fokusinterviews mit Führungskräften und Mitarbeitern. Dort trafen wir dann auf völlig demotivierte Schwestern und Ärzte.
Was war geschehen?
Die Geschäftsleitung hatte in ihrer unendlichen Weisheit und ihrem Gefühl für die wirklich wichtigen Dinge ein Jahr vorher ein Fingerabdruckerkennungssystem eingeführt, das den Eintritt und den Austritt der jeweiligen Person festhält. Dass sie hierbei gespart hatte und das Desinfektionsmittel nicht immer vorbeugend ausgetauscht haben, wirkte sich dann bei einer Grippewelle verheerend aus.
Dass die Mitarbeiter jetzt kontrolliert wurden und nicht mehr früher die Klinik verlassen durften, gestaltete sich in manchen Abteilungen kontraproduktiv und für das Krankenhaus sogar wirtschaftlich schädlich aus. Denn, was früher üblich war – bei Bedarf auch mal länger zu bleiben, um den letzten wartenden Patienten auch noch behandeln zu können – entfiel jetzt natürlich ganz. Der Patient – ich meine, wir sprechen von dem Kunden – hat dies natürlich überhaupt nicht lustig empfunden und dementsprechendes Feedback an die einweisenden Ärzte gegeben.
Aber es ging ja noch weiter und traf dann den zweiten Kunden und wichtigen Wettbewerbsfaktor einer Klinik – das Personal. In seiner unendlichen Weisheit hat dann die Geschäftsführung eine weitere Maßnahme beschlossen: Sie hat dem Pflegepersonal und der Ärzteschaft den kostenlosen Zugang zu Wasser und Kaffee gesperrt und angewiesen, dass dieser Personenkreis darauf nicht mehr zugreifen dürfte.
Sie können sich vorstellen, was für ein Aufstand dies hervorgerufen hat.
Stellen Sie sich nur das hochqualifizierte und gesuchte Fachkräftepersonal in der Kardiologie vor, die mit 25 kg schweren Bleischürzen in 2 Behandlungsräumen ohne Klimaanlage ihren Dienst versieht. Zwei Mitarbeiter dieser Abteilung haben dann auch zu erkennen gegeben, dass sie mit dieser kontrollierten Atmosphäre keine Motivation finden, das Angebot aus einem anderem Haus auszuschlagen.
Nicht falsch verstehen – ein Krankenhaus ist ein Wirtschaftsunternehmen und steht im Wettbewerb bei ihren Kunden – dem Patienten bzw. dem einweisenden Arzt – und bei ihren Fachkräften. Beide Kundengruppen zu verärgern und zu demotivieren schadet dem Haus mehr als es wirklich Kosten einspart.
- Den Patienten, die sich für den Tag freigenommen haben und diesen Termin hinfiebern, wieder wegzuschicken, weil die Stechuhr (Fingerabdruck) die Mitarbeiter motiviert hat und Überstunden nur noch auf schriftliche Anweisung der Krankenhausleitung machen dürfen,
- den Ärzten, die nicht mehr über ihr Personal bestimmen und entscheiden dürfen, wann sie diese brauchen oder nicht,
- den Fachkräften etwas zu entziehen, was bisher eine Selbstverständlichkeit war,
frusted und demotiviert diese.
Vielleicht lehnen Sie sich jetzt wieder einen Augenblick zurück und versetzen sich in die Situation der Krankenhausleitung.
Nun, was hätten Sie gemacht?
Für mich hat die Frage Überwache ich meine Mitarbeiter oder lasse ich sie kommen und gehen, wann sie möchten? gerade im indirekten Bereich mit der Frage des Vertrauens und der Führung zu tun. Vertraue ich meinen Führungskräften und gebe Ihnen damit Verantwortung, dafür zu sorgen, dass Ihre Arbeit im Sinne des Hauses erledigt wird oder überwache ich Sie? Diese Frage hat etwas mit Führung und Führungsverständnis zu tun. Das heißt, führe ich meine Mitarbeiter nach dem Lean Leadership-Gedanken, dann gebe ich Ihnen auch Verantwortung und Vertrauen.
Gerade im Krankenhausbereich habe ich festgestellt, dass die Ärzteschaft und die Schwestern ihre Verantwortung gegenüber dem Kunden – dem Patienten – sehr ernst nehmen und bereit sind, eher mehr als weniger zu arbeiten.
Die Krankenhausverwaltung hat über den Kopf ihrer Führungskräfte hinweg gehandelt und diese entmachtet. Was hat sie damit erreicht? Sie hat sicher Überstunden eingespart. Wiegt dies aber die Verärgerung des Kunden und die Demotivation der Mitarbeiter auf? Sicher nicht. Der Verlust eines einweisenden Arztes und seiner Patienten sowie der Verlust eines Arztes oder einer Führungskraft wiegt dies sicher auf.
Kommen wir zum Kaffee und dem Wasser. Manchmal ist es notwendig, lange gewährte soziale Leistungen zurückzufahren. Doch dies sollte den Mitarbeitern mit Zahlen, Daten und Fakten klar und eindeutig kommuniziert werden. Ansonsten wird dies nicht verstanden und demotiviert die Mitarbeiter extrem.
Diese Managementleistung der Krankenhausleitung kann man getrost als miserabel bezeichnen, denn wenn die Geschäftsführung eine Anweisung herausgibt, hat sie dafür zu sorgen, dass diese überwacht wird und den Mitarbeitern und dem Haus selbst keine Nachteile entstehen. Das heißt, sie muss dafür sorgen, dass z.B. die Desinfektion zu 100% gewährleistet ist und wenn sie den Erlass herausgibt, kein Wasser und Kaffee aus Krankenhausbeständen zu nehmen, muss sie auch das kontrollieren und nicht nur eine Mail schreiben und dann …
Bleiben Sie uns gewogen – bleiben Sie Lean.
Ihr Bodo Wiegand