Über 100% Gemeinkostenzuschläge?
Lean Manager betrachten die Probleme gesamthaft und können deshalb nur schwer mit Gemeinkostenzuschlägen von über 100% bis zu über 300% leben. Hier muss sich etwas ändern und zwar dringend und schnellstmöglich. Wir reden von Digitalisierung und Industrie 4.0, optimieren unsere Produktion und unsere Produkte, bis wir jeden Cent umgedreht haben und dann kommen die Herren Controller und belegen die direkten Produktionskosten noch eben mal mit 100 – 300% Zuschlägen.
Aber – so geht es doch wirklich nicht.
Die Herren Controller scheuen sich dann nicht, diese – natürlich nach bestem Wissen und Gewissen – ermittelten Zuschläge dann mit Cent genauen Zahlen und Faktoren auszuweisen, obwohl es sich nur um qualifizierte Schätzungen handelt, die aber in vielen Fällen falsch sind.
Das ist genauso, als wenn ich durch eine Brille schaue und nur 50% genau sehe, den Rest verschwommen und behaupte: „Ich bin 100% sicher, ich sehe alles klar vor mir.“
Nein, meine Herren Controller und alle, die sich darauf verlassen und unternehmensweite Entscheidungen auf dieser Basis treffen müssen, die Zahlen, die sie liefern bzw. die sie bekommen, sind nicht richtig.
Die Kostenstellen-, Kostenträger-, Kostenartenrechnung verteilt die jeweiligen Kosten auf diese Kategorien. Sie berechnet also die Kosten, die bei der Produktentstehung anfallen und verteilt diese auf die Kostenträger. Da Kosten in der Produktion „so herrlich“ transparent sind, wie zum Beispiel Zeiten auf der Maschine A, Belegungszeiten auf der Maschine B, etc., rechnet man diese zusammen, addiert die Materialkosten und die damit verbundenen Personalkosten, und schon hat man eine kostenträgerbezogene, also produktbezogene Zahl.
Wenn ich – Lean Management gerecht – Maschinen nicht mehr produzieren lasse als durch den Engpass gehen, erhöhen sich die Produktionskosten. Wenn ich – Lean Management gerecht – häufiger rüste, steigen die Produktionskosten.
Wenn ich weniger rüste, erhöhe ich die Bestände, welche ja – in den Augen des Controllers – nicht wirklich zu Buch schlagen, da die notwendigen Transport- und Lagerkosten nicht ins Gewicht fallen, sondern in den Gemeinkosten „Logistik- und Transportkosten“ untergehen.
Wenn nun die Maschinenstundensätze zum Beispiel durch Probleme bei der Produktion von C-Produkten höher sind, kann es sein, dass ein eigentlich hoch profitables Produkt mit in die Abstiegszone rutscht. Genauso kann dieses Produkt mit Qualitätskosten belegt werden, die es gar nicht hat. Trotzdem aber weisen wir ihm Qualitätskosten zu, obwohl dieses Produkt schon jahrelang ohne Qualitätsprobleme und Ausfälle der Renner ist. Das heißt, die Kosten, die durch Probleme beim Produkt X, Y, Z oder bei Neuanläufen auftreten, werden nicht verursachungsgerecht zugeordnet, da ja die Kosten auf alle Produkte der jeweiligen Kostenstelle umgelegt werden. Und schon wieder schlägt der Controller zu und rechnet das eigentlich gute Produkt schlecht. Dies ergeht dem Produkt aber nicht nur bei den Qualitäts- und Maschinenkosten so, sondern auch bei den Verwaltungs- und Vertriebsgemeinkosten, den Logistik- und Transportkosten sowie den Versandkosten, etc. Zuschläge ohne Ende – in einer scheinbaren Genauigkeit bis auf den Cent genau berechnet und ausgewiesen.
Doch warum machen dies unsere Freunde, die Controller?
Nicht um falsche Entscheidungen zu provozieren und falsche Schlüsse daraus ziehen zu lassen, sondern weil sie weltweit mit einem antiquarischen Kostenrechnungssystem – mit der letzten Innovation – der Deckungsbeitragsrechnung – von vor 60 Jahren – auskommen müssen.
Ich meine, dass wir uns in unserer digitalen Welt so eine große Unschärfe mit Kostenzuschlägen von 100% und mehr nicht leisten können. Wir brauchen Zahlen, Daten und richtige harte Fakten, um richtige Entscheidungen treffen zu können. Wir müssen wissen, was jedes Produkt verdient und was es kostet – aber nicht auf Basis von Schätzungen, sondern von realen Fakten und genaueren Zahlen. Ansonsten entscheiden wir verkehrt und managen unser Unternehmen nicht, sondern stochern im Nebel.
Welche Lösungsansätze es für dieses Dilemma gibt, lesen Sie in Teil 2.
Bleiben Sie uns gewogen – bleiben Sie Lean.
Ihr Bodo Wiegand