Was nicht geht, geht nun mal nicht – ohne Prozessstabilität kein lean

Prozessstabilität - lean geht nur mit

Letzten Monat rief mich ein völlig begeisterter Unternehmer an: „Herr Wiegand, Sie sind mir empfohlen worden. Ich möchte Lean einführen. Wann können Sie kommen?“

Anfang letzter Woche war ich vor Ort. Ein wirklich großartiges Unternehmen mit einem überdurchschnittlichen Wachstum und einem technologisch hoch entwickelten Produkt.

Beim anschließenden Werksrundgang erzählte er mir voller Begeisterung, dass er weiter expandieren und Lean Management einführen möchte.

Als wir die Werkshalle betraten, war ich erst einmal überrascht. Der Inhaber erzählte mir etwas über sehr auskömmliche Margen und ich sah die Maschinen vor lauter Bestände nicht.

Nun, wann immer ich ein Lager mit angeschlossener Fertigung sehe, weiß ich, dass es mit der Prozessstabilität nicht gut aussieht und dass die Fertigungssteuerung morgens Pläne schmiedet, die spätestens um 10:00 Uhr überholt sind.

Doch der Unternehmer wollte Lean einführen – am liebsten gestern.

Nun denn.

Wir führen ja wirklich gerne Lean in einem Unternehmen ein, allerdings nicht ohne stabile Prozesse als Basis zu haben.

Nach dem Rundgang erklärte ich ihm dann, dass wir erst einmal die Prozesse stabilisieren müssen, bevor wir mit Wertstrommanagement, KANBAN und selbststeuernden Regelkreisen beginnen würden. Prozessstabilität steht immer am Anfang.

„Woher ich das denn alles wüsste. Wir sind doch nur durch die Fertigung gegangen.“

Außerdem, „wenn ich mir das nicht zutrauen würde, müsste er sich jemanden anderen suchen…“

Wir sind dann noch einmal in die Fertigung gegangen und ich habe ihm dann meine Beobachtungen erläutert.

Zuerst sind wir zum Mischer gegangen und haben uns 10 Minuten angeschaut, was der Mitarbeiter gemacht hat. Der Mitarbeiter füllte Säckeweise Material in den Mischer. Dann entfernte er sich und holte kleinere Gebinde und leerte diese in den Mischer. Auf einem Monitor war die Rezeptur abzulesen. Nach zwei weiteren Gängen zur Materialbeschaffung war er anscheinend fertig. Wir haben den Mischer dann verlassen und sind zum Meisterbüro gegangen. Dort fragte ich ihn, was ihm aufgefallen wäre. Wie aus der Pistole geschossen kam dann seine Antwort: „Warum der Mitarbeiter so oft Material holen muss und das nicht vorkommissioniert am Mischer platziert war!“

Natürlich habe ich ihm zugestimmt, doch ich wollte auf etwas anderes hinaus…

Wir haben uns dann das Rezept angeschaut: 8 Säcke X, 7 Gebinde Y, 5 Dosen Z etc.

Meine Aussage, dass das Rezept einen instabilen Prozess vorgibt, da die Einheiten Sack, Gebinde und Dosen falsch seien, empörte ihn. „Das machen wir schon immer so“, war seine Antwort.

Erneut haben wir uns die Säcke angeschaut und diese gewogen. Beim Hersteller A waren 320g zu viel, beim Hersteller B 160g zu wenig drin. Die Gewichtstoleranz beträgt eben bei Schüttmaterial meist +- 2%.

Die sich dadurch ergebenen Differenzen addieren sich und lassen eine prozessstabile Produktion nicht zu. Hieraus ergeben sich Unstetigkeiten, die letztendlich nach dem Formvorgang zu Problemen beim Produkt führen.

Die Schlussfolgerungen hatte der Unternehmer dann schnell richtig gezogen: das Material Gramm genau vorkommissionieren und damit die Rezepte überarbeiten.

Im Anschluss wollte der Unternehmer wissen, was mir sonst noch aufgefallen war.

Wir sind auf eine Empore geklettert, von wo wir die Fertigung überblicken konnten.

Zuerst haben wir die Maschinen gezählt, bei denen rote Lichter leuchteten. 37% der Maschinen standen. Kein Mensch kümmerte sich darum.

Danach haben wir den regen Gabelstaplerverkehr angeschaut, was wiederum darauf schließen lässt, dass die innerbetriebliche Logistik keinen fließenden Prozess, sondern einen pushed Prozess abbildet. Ware vom Lager an die Maschine – danach Ware ins Lager usw.

Wir haben dann den Meister gefragt, wie das denn mit der Fertigungssteuerung ist und wie lange er sich daran hält. Seine Antwort: „Dann würde hier nix funktionieren!“

Dann habe ich meine Frage nach der Durchlaufzeit gestellt: „Wie lange dauert denn die Abwicklung eines normalen Auftrags?“ Der Meister: „6-10 Wochen und wenn der Chef eingreift, 3-5 Tage, sofern wir Glück haben und keine Qualitätsmängel festgestellt werden.“

„Und wie häufig haben Sie Qualitätsmängel?“, lautete meine Frage. „In 20 bis 30% der Fälle muss nachgearbeitet werden“, musste der Meister zugeben.

Meine anschließende Frage: „Warum stehen 37% der Maschinen?“

Die Antwort: „Die Instandhaltung kommt mit der Schadensbehebung nicht nach. Manche stehen auch, weil wir Qualitätsprobleme haben und die Maschinen nicht prozessstabil arbeiten. Da müssen vielen überholt werden.“

Und schon waren wir wieder bei der Prozessstabilität

Der hochrote Kopf des Unternehmers zeigte nur, dass er kurz vor dem Platzen war. Mit einem Augenkontakt und einem leichten Kopfschütteln konnte ich ihn gerade noch beruhigen. Wir haben dann den Rundgang abgebrochen.

Nachdem wir wieder im Büro waren, brauchte der Unternehmer eine gewisse Zeit, um sich wieder in den Griff zu bekommen. Das einzige, was ihn ein wenig beruhigen konnte war meine Aussage, dass er trotz dieser Schwächen ja noch sehr gute Margen erzielte.

Dann habe ich ihm die 6 Erfolgsfaktoren für das erfolgreiche Einführen von Lean Management erläutert:

  • Ganzheitlicher Ansatz
  • Messen des Erfolges
  • Durchdringung schaffen
  • Vorbildfunktion der Führung
  • Commitment der Führung
  • Planung des Erfolges

Im Anschluss haben wir über die Ziele gesprochen. Nach einer ½ Stunde harter Diskussionen, haben wir diese dann festgelegt, da er mir nicht glaubte, dass man diese wirklich durch Lean Management erreichen kann. Natürlich nur dann, wenn es gelingt, Prozessstabilität herzustellen.

Die Ziele:

  • Durchlaufzeit von 6-10 Wochen auf 3 Wochen reduzieren
  • Working Capital halbieren
  • Produktivität der Fertigung um 20% steigern

Ich habe viele Unternehmen begleitet, die das geschafft haben.

Wenn es nicht geklappt hat, dann fehlte meist das Commitment der Führung oder Lean Management wurde auf das Thema Point Kaizen reduziert.

Aber viele scheitern auch, weil Sie nicht begriffen haben, dass die Prozessstabilität der Grundstein für alles ist: für die Qualität, für die Planung, für eine ordentliche Fertigung.

Ohne Prozessstabilität geht eben gar nichts!!

Bleiben Sie uns gewogen, bleiben Sie lean!

Ihr

Dr. Bodo Wiegand

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