Ein weiteres Beispiel, welches ich selbst erlebt habe, wird die weiteren Probleme unserer antiquierten Kostenrechnung im Blick auf die Produktkalkulation aufzeigen.
Als Werkleiter zweier großer Werke eines großen deutschen Unternehmens, belieferten wir unter anderem die Automobilindustrie mit den unterschiedlichsten Teilen. Irgendwann kam ich von einer Einkaufsverhandlung bei einem großen Automobilwerk zurück und sollte die Preise bei einem sonst immer hervorragend laufenden Produkt senken, weil ein Mitbewerber günstiger anbieten konnte.
Was nicht sein konnte; wenigstens sagte dies mein Gefühl als Ingenieur.
Wir hatten die bessere Fertigungstechnologie und absolut keine Probleme in der Fertigung oder mit der Qualität.
Der Betriebswirt in mir schaute sich daraufhin natürlich die Produktkalkulation genauer an.
Unser Controller gab den väterlichen Rat, doch auf den Preis einzugehen. Wir hätten dann zwar nicht die Vollkosten aber den Deckungsbeitrag; wäre ja immer noch sehenswert.
Nun hasse ich Deckungsbeiträge. Sie verstecken, verschleiern, wiegen in Sicherheit und führen einen ganz schnell auf die falsche Fährte.
Ich wollte wissen, was Sache ist. Was das für ein Zuschlag war, wie die Gemeinkosten aufgeteilt waren, was das für Vertriebs- und Qualitätskosten waren. Ich wollte die ganze Wahrheit.
Die Produktkalkulation schien plausibel, was die Fertigungskosten anging.
Trotzdem wollte ich wissen, was das für ein Maschinenstundensatz war und warum dieser Produktgruppe Qualitätskosten und Vertriebskosten aufgebrummt wurden, wo doch nachweislich keine Qualitätskosten anfielen und der Vertrieb auf die jährlichen Verhandlungen in den unterschiedlichen Automobilkonzernen begrenzt war.
8 Wochen – und viele Stunden hitziger Diskussionen später – dauerte es, bis das Controlling alle Zahlen je Produktgruppe aufgelistet hatte und die Zuschläge wenigstens einigermaßen an der Realität und dem Wertschöpfungsstrom entlang verteilt waren. Es wurden allerdings nur die direkt zurechenbaren Kosten aus Qualität, Instandhaltung, Logistik und Vertrieb einbezogen. D.h., es war noch keine vollständige Kostenzuordnung in der Produktkalkulation, aber ein zarter Anfang schien uns gelungen. Wonach sich zuerst einmal blankes Entsetzen auf den Gesichtern breit machte und Ratlosigkeit um sich griff.
Ursachengerechte Kostenverteilung ändert alles!
Die annähernd ursachengerechte Verteilung der Qualitäts-, Instandhaltungs-, Logistik- und Vertriebskosten zeigte plötzlich Produkte in rot, die bisher als besonders wirtschaftlich galten. Der Vertrieb konzentrierte sich anscheinend auf Produkte mit schlechten Margen.
Nur durch Zufall haben wir dann noch herausgefunden, dass die Maschinenstundensätze nicht der Realität entsprachen, sondern so verteilt worden waren, dass Produktgruppen mit schlechten Margen subventioniert und gute Produktgruppen auf der anderen Seite mit höheren Maschinenstundensätzen belastet wurden.
Fast hätten wir einen fatalen Fehler gemacht!
Was können wir aus diesem Beispiel lernen?
Der Controller hat ja aus Sicht des Kostenrechnungssytems nichts verkehrt gemacht und trotzdem eine Fehlentscheidung provoziert
Controlling – 6, setzen, oder???!!!!
Was ist da falsch gelaufen, obwohl ja die Kostenrechnung richtig war, wenigstens aus Sicht der Controller?
Ein wirklicher Fehler und eigentlich zu bestrafendes Handeln des Controllings war natürlich, bestimmte Produktgruppen bewusst mit erhöhten Maschinenkostensätzen zu belegen.
Darüber hinaus hat man nicht erkannt, dass es sich bei diesem speziellen Produkt um eine Produktgruppe handelt, die fast keinen Aufwand in der Qualitätskontrolle, im Vertrieb und in der Instandhaltung machte und trotzdem mit dem Gemeinkostensatz von Produkten mit mehr Problemen überzogen wurde.
Produktkalkulation aus dem letzten Jahrhundert
Auf der anderen Seite wurden diese nicht gut laufenden Produkte damit kostenmäßig entlastet und keiner sah eine Notwendigkeit sich um diese zu kümmern. D.h., wir vertuschen mit System unsere Schwachstellen und decken diese mit unserem verwendeten Werkzeug, der Kostenrechnung aus dem letzten Jahrhundert, nicht auf.
Dies stellt sich als ein riesiger Fehler heraus und führt zu gravierenden Fehlentscheidungen.
Wir müssen dahin kommen, die indirekten und administrativen Kosten zu variabilisieren, um die realen Kosten auf die jeweiligen Produktgruppen ursachengerecht zuordnen zu können.
Denn
- erst dann können wir an den Ressourcen verbrauchenden Produkten gezielt arbeiten und können die Verschwendung in den indirekten und administrativen Bereichen aufdecken
- erst dann können wir auch in diesen Bereichen Verschwendung gezielt beseitigen und das Unternehmen in allen Bereichen auf dem Wertschöpfungsprozess kostenminimierend ausrichten
- erst dann sind wir in der Lage, die einzelnen Produktgruppen wirklich zu beurteilen und die richtigen Maßnahmen einzuleiten
- erst dann können wir klar sehen und erkennen, was wirklich los ist und stochern nicht im Nebel herum, wenn wir wichtige Unternehmensentscheidungen treffen müssen
- erst dann können wir daran arbeiten, in wirklich allen Unternehmensbereichen besser zu werden
Wenn Sie sich fragen, ob das überhaupt geht, ohne dass riesige Erfassungskosten auf Sie zukommen???
Ja, es geht!!!!!
Wie genau, werde ich in der nächsten Wiegands Warte kurz vorstellen. Sie können dies aber auch in meinem neuen Buch nachlesen:
Kostenrechnung 2.0 – Mit Lean Cost Management Lean Potenziale richtig ausweisen
Dieses erscheint voraussichtlich am 13.10.2022 im SpringerGabler Verlag.
Bleiben Sie uns gewogen – bleiben Sie Lean!
Ihr Bodo Wiegand
Serie: Unsere Controller liefern falsche Entscheidungsgrundlagen, auf dessen Basis unsere Manager falsch entscheiden