Wer nicht hört – sieht nichts

Als ich 12 Jahre war hat mich mein Großvater mehrmals auf seine „Runde“ mitgenommen, wie er es nannte.

Wir hatten damals eine Gießerei und dort hat er jeden Tag einmal seine „Runde“ gedreht. Nach der Belehrung meines Großvaters, bei ihm zu bleiben, gingen wir Hand in Hand durch die Gießerei, den Formenbau, die Sandaufbereitung, die Keller, und, und, und. Es dauerte 1 ½ Stunden. Wann immer etwas nicht in Ordnung war, holte er sich Herrn Meier, Schmitz oder Schulte. „Warum sind dort so viele Kästen?“ „Warum liegt die Zigarette da?“ „Warum ist der Fahrweg blockiert?“ „Warum steht die Maschine?“ „Wieso haben wir ein Problem beim Gießen?“ Wenn Mitarbeiter ohne Brille oder Helm herumliefen, gab es richtig Ärger.

Aber auch, wenn etwas nicht erledigt war, was fertig sein sollte oder die Uhr nicht richtig ging. Damals dachte ich ein Spleen, heute weiß ich, wie wichtig Schutzkleidung ist, wie wichtig Uhren sind und wie wichtig Pünktlichkeit ist.

Sein Spruch war immer: „Wenn die Uhren falsch gehen, kann keiner erwarten, dass die Menschen pünktlich da sind, wenn man sie braucht. Bei ihm gab es absolut keine Entschuldigung für zu spät kommen – aber es kam keiner zu spät.

Zurück zum Rundgang. Er sprach mit jedem Meister, aber nur über Probleme – geschäftliche und auch menschliche. Manchmal blieb er an Maschinen stehen und horchte. Dann rief er den Leiter der Instandhaltung, der meist sagte: „Ja, habe ich auch schon gehört. Am Wochenende schauen wir nach.“ Dann war ich immer zutiefst beeindruckt und habe versucht zu hören – doch da war nichts. Erst als mein Großvater dann mir gesagt hat, worauf ich hören sollte und den Unterschied an einer Maschine, die in Ordnung war, wahrgenommen habe, habe ich das erste und einzige Mal „gehört“.

Als ich Produktionsleiter in der Schmiede war, habe ich mich an diese Rundgänge erinnert und versucht, an die einzelnen Details zurückzudenken und zu hören und zu sehen. Dies ist mir erst nach einiger Zeit gelungen.

Das größte Lob meiner damaligen Laufbahn war das von unserem Instandhaltungsleiter, Herrn Hensing. Der sagte, als ich ihn auf ein Geräusch aufmerksam machte, das mir komisch vorkam: „Lange hat das keiner mehr gehört.“

Nun, warum schreibe ich dieses? Ich habe das Gefühl, dass wir in der heutigen Zeit es verlernt haben zu hören, zu sehen und richtig durch den Betrieb zu gehen. Ich habe das Gefühl, dass unsere Meister und Jungmanager nicht mehr sehen gelernt haben, geschweige denn zu hören oder wie man richtig durch den Betrieb geht, d.h. etwas sieht und dann richtig handelt.

Wenn ich an der Kippe auf dem Boden vorbeigehe oder an einer Kiste vorbeigehe, in der etwas drin ist, was nicht drin sein sollte, dann gilt der Spruch: „Was der Chef toleriert oder nicht bemängelt, ist erlaubt“.

Wenn ich aber den Mindset in meinem Unternehmen verändern möchte und kein Vorbild bin, z.B. Verschwendung dulde, dann kann ich nicht erwarten, dass die Mitarbeiter bei ihrer harten täglichen Arbeit Verschwendung erkennen und beseitigen. Deshalb werde ich nicht ruhen, dieses Thema unter zu Hilfenahme z.B. eines virtuellen „Waste Walks“ in den Mittelpunkt stellen und auf dem deutschen Summit vom 24. bis zum 26. Oktober in Berlin aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten.

Bleiben Sie uns gewogen – bleiben Sie Lean.

Ihr Bodo Wiegand

1 Gedanke zu „Wer nicht hört – sieht nichts“

  1. Vielen Dank für diesen Beitrag. Ich fühle mich in meiner Arbeit bestätigt, denn Management by Computer oder Management by Office sind oftmals die falschen Ansätze, um ein produktives Umfeld zu lenken und zu steuern. Als Excellence Manager arbeite ich daran die Produktionsleiter in die Produktion zu bringen, in dem wir ein Standard Management mit dem Fokus auf Arbeitssicherheit, Qualität, Durchlaufzeit, Kosten und Umfeld implementieren. Mit dem Motto „Bad News first, but no surprises“ und dem „How can I help“ Ansatz versuchen wir Probleme sichtbar zu machen, diese schnell einzudämmen und anschließend die Ursache zu finden und diese zu eliminieren. Wenn Mann nicht weiß was vor Ort passiert, kann er die Situation auch nicht einschätzen. Vielen Dank nochmal.

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