Die Angst vor der eigenen Courage – dem Sprung von der Lean Production zur Lean Administration (Teil 2)

Kommen wir nun zu der anderen Gruppe von Unternehmen, die in der Fertigung große Erfolge mit Lean feiern konnten, aber es dann nicht weitergeht und die nicht wissen, wie man ihre Kollegen aus den unterstützenden Bereichen motivieren kann, auch Lean zu werden.

Im November war ich in einer wirklich tollen Fertigung. Die Durchlaufzeiten waren von 3,5 Wochen auf 2 Tage gesunken. Das Variantenmanagement ließ es zu, auch Exoten in kurzer Zeit (5 Tage) zu fertigen und doch stand dort ein Werksleiter vor mir – unglücklich und frustriert.

„Wissen Sie, Herr Wiegand, was uns das alles bringt? Rein gar nichts. Wir liefern hier doch nur flexibel und schnell an unser Zentrallager, statt direkt den Kunden zu beliefern. Das will unser Vertrieb und unsere Logistik nicht. Toll – nicht wahr?“

Würde man hier den Wertstrom vom Kunden zum Kunden optimieren, könnte man Kosten einsparen ohne Ende.

Schon mit einer einfachen ABC-/XYZ-Analyse ließe sich viel bewegen. Durch Einführung der Produktions-Prinzipien für AX- und BX-Produkte – made to delivery – könnte man die AX-/BX-Produkte aus dem Produktionswerk direkt an den Kunden liefern. Für die AY, BY, AZ, AY würde man die Strategie – made to stock – einführen und für die BZ, CY, CZ – made to order . Hiermit könnte man in diesem Unternehmen Millionen sparen. Wenn – ja wenn – man die unterstützenden Bereiche in die Wertstrombetrachtung mit einbeziehen würde und, wenn es gelingen würde, den Sprung von der Produktion in die Administration zu wagen.

Eigentlich ist dies doch ganz einfach, oder?

Nun für viele scheint es aber ein Buch mit sieben Siegeln zu sein.

Warum?

Weil sie mit der Herangehensweise in der Produktion – Wir starten mal mit 5S – in der Administration nicht weiterkommen und der Widerstand der Bereichsfürsten groß ist.

Da ja die Produktion in den allermeisten Fällen nur das notwendige Übel ist und die Controller die Wichtigen oder waren es die Personaler, nein doch der Vertrieb oder etwa die Auftragsabwickler?? – richtig, ohne die läuft gar nichts – oder nein – jetzt habe ich es – die Einkäufer, die sind doch die Wichtigsten, oder etwa nicht??

All diese so Wichtigen, zur eigentlichen Wertschöpfung fast nichts beitragenden Bereiche –wollen nicht Lean werden?

Warum nicht?

Weil sie Lean sind!!!

Sie alle arbeiten so Lean, wie kein anderer im Unternehmen, oder etwa nicht?

Doch – vielleicht aber mag es sein, dass sie alle in ihren Abteilungen absolut gut organisiert sind. Doch was passiert an den Schnittstellen zwischen den Abteilungen? Denn die schnittstellenübergreifenden Prozesse laufen nicht in den Funktionen die Hierarchieebene herauf und herunter, sondern mittendurch.

Als vor 30 Jahren mein Berufsleben anfing, tobte ein ähnlicher Streit in der Produktion-Werkstattfertigung, war die Organisationsform der Stunde.

Doch irgendjemand hat dann die Frage gestellt: „Warum stelle ich die Maschinen nicht so auf, dass die Produkte von einer Maschine zur anderen fließen können und die Verantwortung für das Produkt in einer Hand liegt?

Die Kämpfer für die Werkstattfertigung waren mächtig und groß – haben aber den Kampf verloren – wenigstens in den Unternehmen, die heute noch wettbewerbsfähig sind.

Heute wirklich erfolgreiche Unternehmen haben dem Wertstrom alles untergeordnet und alle Funktionen in die Produktsegmente integriert und dem Produkterfolg untergeordnet. Denn nur, wenn alle – wirklich alle – die Wertschöpfung unterstützen, wird man in Zukunft erfolgreich bleiben.

Genug der Vorrede. Also:

Wie macht man es nun?

Ich möchte Sie nicht langweilen: Ohne wirkliche Planung und ohne Commitment der Führung geht gar nichts! Denn die Fürsten der indirekten Bereiche sind stark, mächtig und kampfeslustig. Sie verteidigen ihre Bereiche und Vorgehensweisen bis – ja, bis man sie davon überzeugen kann, dass Lean Administration nicht weh tut, sondern zeitliche Entlastung und Verbesserung schafft.

Damit kriegen Sie sie, denn in den indirekten Bereichen sind alle immer überlastet. Denn die Arbeit hat sich gerade in diesem Bereich immer weiter verdichtet. Also, helfen Sie ihnen und sparen Zeit.

Der Start

Sparen Sie sich bitte alle Ansätze mit 5S 1). Fangen Sie bei den Zeitfressern an 2), dies sind die Zeiten, die man für Mails und Besprechungen aufwenden muss. In den indirekten Bereichen sitzen die Mitarbeiter durchschnittlich einen Tag pro Woche an der Mailbearbeitung und einen Tag in Besprechungen 3). Das heißt, der Start der Lean-Initiative in den indirekten Bereichen durch die Einführung eines E-Mail-Knigges und einer neuen Besprechungskultur bringt den Mitarbeitern mehr Zeit, sodass die Mitarbeiter mit Lean eine zeitliche Entlastung verbinden – ein guter Start.

Aber bitte nicht mit kaskadierenden Workshops oder mit E-Learning gestreutem Powerpoint-Karaoke. Alle, wirklich fast alle Versuche, die E-Mail- bzw. Besprechungskultur mit diesen Mitteln zu verändern, sind kläglich nach einiger Zeit gescheitert. Warum? Weil keiner wusste, ist der jetzt schon geschult oder nicht? – also der soziale Druck nicht aufgebaut werden konnte. Dieser ist notwendig, um das Verhalten aller zu verändern. Dieser kann nur dann aufgebaut werden kann, wenn alle wissen, dass es alle wissen und damit auch so handeln sollten. Dies erreichen Sie nur durch ein interaktives, multimediales Lernsystem, bei dem es Spaß macht, zu lernen und Sie wissen, dass alle es gelernt haben und dann auch alle ab einem gewissen Zeitpunkt so handeln müssen.

Unterstützt durch eine Informations- und Besprechungsstrukturanalyse können Sie den Zeitaufwand für Mails und Besprechungen halbieren – also einen Tag pro Woche Arbeitszeit gewinnen.

Darüber hinaus können Sie eine 5S-Initiative gerne in den Sozialbereichen starten und somit sichtbare Veränderungen schaffen.

Ein weiterer wichtiger Bereich für Verbesserungen bildet das Ablagesystem – dieses würde ich allerdings nicht am Anfang der Lean-Initiative angehen. Es ist nicht nur kompliziert, sondern auch sehr emotional, weil von persönlichen Aspekten bzw. Vorlieben geprägt. Im Ergebnis bedeutet es einen Kampf gegen Windmühlen, wenn sich noch kein einheitliches Verständnis für die Lean-Philosophie entwickelt hat. Deshalb sollte dieses eher am Ende Ihrer Lean-Initiative eingeplant werden.

Die nächsten Schritte:

  • Prozesslandkarte aufstellen,
  • Durchdringung schaffen,
  • Produkte der Bereiche definieren,
  • Auftragsstrukturanalyse durchführen,
  • Schnittstellen überprüfen,
  • Wertstromanalyse durchführen und
  • die Tätigkeitsstrukturen erfassen.

hatte ich schon häufig beschrieben und nachzulesen in den WiegandsWarten Fachkräftemangel noch nicht (Teil 2) vom 7. März 2014 und in den Büchern Lean Administration I und II.

Doch Vorsicht, das Produkt der administrativen Bereiche – die Information – ist ein flüchtiges Gut und nicht leicht zu handhaben, auch wenn man meint, methodensicher zu sein.

Und noch etwas – vergessen Sie das Messen nicht.

Bleiben Sie uns gewogen – bleiben Sie Lean.

Ihr Bodo Wiegand

1)   WiegandsWarte Point-Kaizen in der Administration, 17. April 2014

2)   WiegandsWarte Gehen lernen in der Verwaltung, 28. September 2012

3)   WiegandsWarte Lean macht erfolgreich (Teil 3), 2. Oktober 2014

1 Gedanke zu „Die Angst vor der eigenen Courage – dem Sprung von der Lean Production zur Lean Administration (Teil 2)“

  1. Hallo Herr Dr. Wiegand,

    vielen Dank für Ihren sehr wertvollen Artikel und vor allem Ihre persönlichen Erfahrungen.

    Auch ich erlebe leider immer wieder den Fall, dass eine Firma Erfolge mit Lean in der Produktion erfährt und sich dann Gedanken macht, wie man diese Erfolge nun auf andere Bereiche ausweitet.

    Mittlerweile gibt es ja Lean Administration, Lean Developement, Lean Marketing und was sonst noch. Problem ist, dass die gleichen Fehler wieder gemacht werden, wie sie in den 90er Jahren in der Fertigung gemacht wurden. Es wird rein auf Tools geachtet und so fängt man nun an den Tisch des Sachbearbeiters mit Klebestreifen zu versehen, damit der Bildschirm immer da steht, wo er hin soll (wo soll er denn sonst stehen?!). Wir müssen ja 5S machen, denn das ist ja LEAN.

    Leider springen immer mehr „Coaches“ auf diese Masche auf und verkaufen Lean-Workshops, die eigentlich nichts anderes sind, als Aufräumen.

    In Amerika gibt es dafür den Begriff LAME (lame = engl. lahm, schwach, dürftig), der eine Abkürzung von Lean As Misguidedly Executet (also Lean Falsch Ausgeführt).

    Ich hoffe wirklich, dass sich auch in den indirekten Bereichen der Lean Gedanke durchsetzt und vom Kunden her gedacht wird. Wobei hier sowohl der Externe Kunde, als auch der interne Kunde, also der Sachbearbeiter, der andauernd über die langsamen Bestellprozesse im Unternehmen jammert.

    Ich habe in meinem Artikel „Lean Administration – mehr als nur 5S“ einige Präsentationen zusammengefasst, die aufzeigen, wie es gehen könnte.

    Herzliche Grüße
    Johann Anders

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