Wir stöhnen, dass wir keine Zeit haben – gleichzeitig verschwenden wir diese maßlos!

Die Unterbrechung einer Tätigkeit ist immer mit einem Zeitverlust verbunden, denn um wieder den Status der Tätigkeit zu erreichen, den man vor der Ablenkung und/oder Störung hatte, vergeht nicht unerheblich Zeit. Wir sprechen hier von geistigen Rüstzeiten.

Geistige Rüstzeiten

Abb. 1: Arbeitsorganisation: Geistige Rüstzeiten in Abhängigkeit der ausgeübten Funktion/Position und Tätigkeit [1]

Typische Ablenkungen – Telefonate, E-Mails, Adhoc-Besprechungen….

Als Ablenkungen, Störungen und Unterbrechungen werden alle unerwarteten Termine, E-Mails, Telefonate, Adhoc-Besprechungen mit Kollegen, betriebliche oder systemische Störungen bzw. Wartezeiten verstanden und auch Benachrichtigungszeichen von E-Mail-Programmen oder SMS-Nachrichten. Sie alle stellen eine nicht unerhebliche Ablenkung und Unterbrechung der Tätigkeit dar. Unter Lean Thinking-Gesichtspunkten entsteht hier die Verschwendungsart

  • Blindleistung durch die geistigen Rüstzeiten
  • Nacharbeit
  • wenn Fehler durch Ablenkung und Störung entstehen

Geistige Rüstzeiten sind Verschwendung – und unterschätzt

Die in der Abb. 1 gezeigte geistigen Rüstzeiten sind eine der heute am häufigsten und leider völlig unterschätzten Verschwendungsarten im administrativen Bereich. Die Ursachen der Ablenkungen sind vielfältig und benötigen unterschiedlichste Ansätze.

Im Durchschnitt werden Mitarbeiter einer Ingenieur- oder Entwicklungsabteilung alle 18 Minuten gestört. Die geistigen Rüstzeiten für die Personengruppe betragen ungefähr 12 – 16 Minuten. Das heißt: Dieser Ingenieur arbeitet also in zerstückelten Zeitfrequenzen von gerade mal 6 Minuten – wenn er Glück hat.

Und wie können geistige Rüstzeiten verringert werden?

Deshalb sollten Sie gerade in diesen Abteilungen Zeiten definieren, in denen die Mitarbeiter nicht, z.B. durch Anrufe oder Ad hoc-Besprechungen, Mails, Telefonate, etc. gestört werden. Kommunizieren Sie diese Zeiten innerhalb Ihres Funktionsbereiches und erweitern Sie diese nach einer erfolgreichen Testphase in die gesamte Organisation.

Unsere Bedenkenträger werden jetzt sagen: „Aber das geht doch nicht. Unsere Ingenieure haben doch Kundenkontakt.“ Eine nette Assistentin kann alle diese Telefonate und Benachrichtigungen abfangen und mit Kunden Termine für den Rückruf vereinbaren.

Selbst in der Verwaltung hat man geistige Rüstzeiten von 4 – 6 Minuten gemessen. Was für eine ungeheure Verschwendung von Arbeitszeit, die wir uns jeden Tag gönnen. Bei nur 20 Störungen pro Tag sind das mal eben 80 Minuten wertvolle Arbeitszeit.

Sitzungen störungsfrei, also Device-frei halten

Vielleicht bin ich ja in diesem Bereich etwas konditioniert, da ich gerade an dem Buch Entlastung der Führungskräfte – 20 % mehr Zeit zum Führen schreibe. In letzter Zeit fällt immer häufiger auf, wie viele Manager die Apple Watch tragen. Wenn wir es geschafft haben, dass in Sitzungen keine Computer bedient werden, die Handys ausgeschaltet sind, müssen jetzt auch noch die Uhren entfernt werden. Nicht nur, weil man nicht weiß, an welcher Uhr das Mikrofon an ist, sondern vor allem, weil die Nachrichten mit einem Vibrationssignal angekündigt werden und dadurch das unwiderstehliche Verlangen entzündet wird, diese Nachricht schnell mal zu lesen.

Dies ist wiederum eine Ablenkung, die dazu führt, dass derjenige geistige Rüstzeiten braucht, um den Gesprächsfaden wieder aufzunehmen.

Damit dringt einer der größten Zeitfresser – die Benachrichtigungsfunktion von Mails und SMS etc. – unmittelbar in unserem direkten Wahrnehmungsbereich und stiehlt uns Zeit – von der wir ja angeblich zu wenig haben.

Was ist also zu tun?

Ein dringlicher Rat für die Verringerung Ihrer geistigen Rüstzeiten:

1. Regel: Deaktivieren Sie Ihre Benachrichtigungsfunktionen!

Deaktivieren Sie Ihre Benachrichtigungsfunktion im PC/Laptop, bei Ihrem Handy und auf Ihrer Uhr.

2. Regel: Strukturieren Sie Ihren Tag!

Beantworten und bearbeiten Sie E-Mails oder andere Nachrichten nur noch zu fest definierten Zeiten, beispielsweise 3-mal am Tag, um 8:00 Uhr, um 12:00 Uhr und um 15:00 Uhr. Akut wichtige Sachen werden sowieso in einem anderen Medium an Sie herangetragen.

3. Regel: Schaffen Sie Freiräume!

Vereinbaren Sie mit Ihren Kollegen und Vorgesetzten, dass Sie morgens und nachmittags mindestens eine Stunde ohne Störung arbeiten können. Dringen Sie auf die Einhaltung, nachdem Sie dies mit allen Kollegen/Vorgesetzten abgesprochen haben. Organisieren Sie, dass während dieser Zeit Ihre Telefonate angenommen werden und Sie nur bei Notfällen gestört werden dürfen.

Ihre Arbeitsqualität und Produktivität wird stark ansteigen. Ernst Pöppel schrieb dazu[2]: „dass es einen Kreativitätsstau gibt, der geradezu explodieren könnte, wenn die Büros in allen Institutionen täglich eine Stunde aus dem Kommunikationszwang aussteigen würden.“ Pöppel weiter: „Geben wir jedem Mitarbeiter in Deutschland nur eine Stunde am Tag Arbeitszeit ohne Unterbrechung. Es wäre der größte Innovationsschub aller Zeiten.“

Bleiben Sie uns gewogen, bleiben Sie lean!

Ihr

Dr. Bodo Wiegand

Quelle: [1] [2] Pöppel, Ernst (2005) Heureka, ich hab’s gefunden! Manager Magazin, Mai 2005



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