Fachkräftemangel noch nicht – aber sehr bald – ein Weckruf (Teil 1)

Solange unsere Fachkräfte und Mitarbeiter im indirekten Bereich weniger als 50% für ihre eigentlichen Tätigkeiten Zeit haben, haben wir keinen Fachkräftemangel. Aber er rollt auf uns zu – gnadenlos und wir tun nichts!

Wann immer ich in Unternehmen komme und wir über Effizienzen im indirekten Bereich sprechen, herrscht erst einmal ungläubiges Staunen nach dem Motto: „Herr Wiegand, aber bei uns ganz bestimmt nicht.“ Meine schon im Focus (Ausgabe Oktober 10/2007) mit Zahlen unterlegte Aussage: „Die Arbeitsproduktivität in der Verwaltung beträgt knapp 50%1)“ wollte keiner glauben, die wenigsten wahrhaben … und wurde und wird von den meisten mit einem „bei uns nicht“ abgetan.

Fakt ist, Sie liegt unterhalb von 50%, gestern wie heute und wenn wir uns nicht bald darum wirklich kümmern und nicht endlich aus unserem Dornröschenschlaf aufwachen, laufen wir in wirkliche Probleme, die die Existenz unseres Businessmodells Deutschland gefährdet.

Nun meine lieben Ungläubigen und „bei uns nicht“-Freunde – aufwachen: Die Fakten kommen. Nach einer Studie der Hochschule AKAD Leipzig2) verbringen im Büro tätige einen ganzen Tag in der Woche mit Besprechungen und einen ganzen Tag pro Woche mit der Bearbeitung von Mails. Glauben Sie nicht? Der Beweis: Nach einer Umfrage von Varonis 20123) bekommen

  • 4,8% 300 – 500 Mails pro Tag,
  • 17,6% 100 – 300 Mails pro Tag,
  • 44,8% 50 – 100 Mails pro Tag und
  • 32,8% 1 – 50 Mails pro Tag.

Nach einer Umfrage von Mimecast und Microsoft Exchange von 20124) sind davon 61% der Geschäftsmails aus Sicht des Empfängers unnötig, 25% sind immerhin nützlich und nur 14% sind „wirklich wichtig“.

Das heißt noch mal im Klartext: Fast 70% der im Büro tätigen Mitarbeiter bekommen mehr als 50 Mails/Tag.

Bleiben wir nur bei dieser Zahl 50 Mails. Die Bearbeitungszeit einer Mail dauert im Schnitt 1 – 2 Minuten – und für die Schlauberger, die jetzt denken, ich brauche nur 10 Sekunden pro Mail noch eine kleine Zusatzinformation. Sie gehören bestimmt zu den 70%, die mehr als 50 Mails bekommen und jederzeit ihre Mails abfragen. Die zusätzliche geistige Rüstzeit bei normaler Bürotätigkeit durch 1 Mail beträgt 64 Sekunden. Dies hat der Psychologe Thomas Jackson von der Universität Loughborough4) berechnet.

Daraus folgt im günstigsten Fall, dass die Bearbeitung der angenommenen 50 Mails/Tag mindestens 2 Stunden dauert, also 10 Stunden in der Woche oder 55 Arbeitstage, d.h. 1 Arbeitstag pro Woche verschlingt (siehe auch die Studie der Hochschule AKAD Leipzig)2).

Zieht man in Betracht, dass die Bearbeitung von 61% der Mails reine Zeitverschwendung sind. Dies entspricht 6 Stunden in der Woche oder 38 Tagen im Jahr oder 17% mehr Zeit für den Mitarbeiter.

Untersuchungen haben gezeigt, dass bei Ingenieuren und Entwicklern, die konstruktiv oder an komplexen Problemen arbeiten, die geistige Rüstzeit sogar bis zu 12 Minuten beträgt. Bei dieser Personengruppe kommen schon bei nur 25 Mails/Tag und 10 Minuten geistiger Rüstzeiten 250 Minuten zusammen, dass macht schon 50% des Tages aus. Bei einem Durchschnittsgehalt von 100.000 € macht das 50.000 €/Mitarbeiter für Mailbearbeitung!

Eliminieren wir also für diese Personengruppe diese 61% nicht notwendiger Mails, würde diese statt 25 nur 10 Mails bekommen und würde damit 120 Minuten mehr Zeit für ihre eigentliche Aufgabe haben. Konzentrieren wir dann noch die Mailbearbeitung auf morgens und nachmittags, lassen sich nochmal 100 Minuten sparen.

Nun, was ist zu tun um diese E-Mail-Flut zu bekämpfen?

Maßnahme 1: Einen E-Mail-Knigge einführen und die Anzahl der Mails reduzieren und die Qualität erhöhen.

Maßnahme 2: Mit einer Informationsstrukturanalyse die Qualität der Information und Kommunikation erhöhen und den unnötigen E-Mail-Versand von vornherein stoppen.

Darüber hinaus sollten wir eine weitere Studie ernst nehmen und anfangen unsere Mitarbeiter zu schützen. 63,6%6) aller Führungskräfte glauben, dass von Ihnen erwartet wird, dass sie in ihrer Freizeit erreichbar sein müssen. Was für Maßnahmen wurden laut einer Umfrage vom Verband „Die Führungskräfte“ von 20136) ergriffen um die Erreichbarkeit einzugrenzen?

Antwort in 81% der Führungskräfte in den Unternehmen: Keine.

Womit dann auch zumindest ein Grund für den Anstieg der Burn Out-Syndrome gefunden ist. Wenn 81% der Unternehmen dieses Problem nicht ernst nehmen, ist es eigentlich nur noch eine Frage der Zeit, wann die Führungskräfte verheizt sind.

Dies zur Fürsorgepflicht unserer Unternehmen.

Kommen wir zum Thema Besprechungen. Wie oft erlebt jeder von Ihnen Besprechungen

  • die keine Agenda haben,
  • in denen keine klaren Aufgaben definiert wurden,
  • in denen kein klares Ergebnis mit Maßnahmen und Verantwortung gemeinsam festgelegt wurden,
  • in denen die Maßnahmen vom letzten Mal nicht verfolgt wurden,
  • in denen die Zeit überschritten wurde,
  • in denen sie nicht pünktlich begonnen haben,
  • in denen jemand zu spät kam,
  • in denen eine oder mehrere Personen (Mr. oder Mrs. wichtig) rausgegangen sind um zu telefonieren,
  • in denen mit Rechnern E-Mails beantwortet wurden – während der Sitzung natürlich,
  • in denen keine klare Gesprächsführung ausgeübt wurde,
  • in denen die Unterlagen erst dort ausgegeben wurden, um „schnelle“ Entscheidungen herbeizuführen,
  • in denen in der Sitzung zur Entscheidung XY alle zugestimmt und hinter alle gesagt haben vielleicht,
  • in denen über alles gesprochen wurde aber nicht über die wirklichen Probleme,
  • und, und, und.

Alles Verschwendung – pure Verschwendung.

Was kann man also tun, um dem Besprechungswahnsinn einzudämmen und den einen Tag Besprechung pro Woche auf vier Stunden zu kürzen? Die Besprechungskultur verändern, die Anzahl der Besprechungen und Besprechungslängen durch unterschiedliche Maßnahmen radikal kürzen.

Maßnahme 3: Man führt einen Leitfaden zur Verbesserung der Gesprächskultur ein.

Maßnahme 4: Eine Gesprächsstrukturanalyse durchführen und die Meetingtypen den wirklich benötigten Gesprächserfordernissen zuordnen, wie z.B. alle Regelmeetings maximal 30 Minuten im Stehen vor dem Whiteboard abzuhalten und nur Abweichungen zu diskutieren. Zeitersparnis sofort 50% – garantiert!

Fasst man die Potenziale bei Besprechungen und E-Mail-Bearbeitung zusammen, kann man eine Entlastung von mehr als 15 – 20% erreichen.

Hallo meine lieben „Bei uns nicht“-Freunde, stecken Sie den Kopf ruhig weiter in den Sand, dann müssen Sie sich auch nicht damit beschäftigen.

Ein Geschäftsführer eines großen Automobilzulieferers sagte einmal zu mir: „Herr Wiegand, in der Produktion suchen wir die Cents und lassen die Euroscheine auf den Fluren der Verwaltung liegen.“ Was also um alles in der Welt hält unsere Manager davon ab, diese Effizienzpotenziale zu heben und damit die so dringend benötigten Führungskräfte von diesen sinnlosen Belastungen zu entlasten. Sie schauen einfach zu und verschwenden sinnlos unser wichtigstes Kapital: Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, unsere Fach- und Führungskräfte, unsere Ingenieure und Entwickler.

Entlastet man diese Personengruppe dann noch von artfremden Tätigkeiten wie Sekretariatsarbeit, Reiseplanung und anderen nicht Nicht-Kerntätigkeiten, so generiert man weiter Potenziale, und dass, ohne die Schnittstellenprobleme anzupacken, ohne die Abläufe zu optimieren und ohne Königreiche zu stören.

Hierzu brauchen Sie keine Berater, hierzu brauchen Sie lediglich eine Investition in die Ausbildung ihrer Mitarbeiter.

Eine Lösung und Unterstützung, um diese Potenziale zu heben, haben wir in Zusammenarbeit mit der Lean International AG auf dem Lean Management Summit vorgestellt. Mit diesem interaktiven, multimedialen Lernsystem zur Verbesserung der Besprechungskultur und der Verkürzung der E-Mail-Bearbeitung gelingt es, organisationsweit und gleichzeitig zu lernen. Das heißt dann auch bei der Einführung zum Zeitpunkt X gleichzeitig handeln aller und damit auch unternehmensweit kollegiale Disziplinierung.

Neben dem Heben dieser Potenziale macht es noch Spaß, den Kurs zu absolvieren und erzeugt Nachhaltigkeit bei den Absolventen.

In meiner 15jährigen Erfahrung mit administrativen Lean-Projekten kann ich feststellen, dass dort insgesamt mindestens 20 – 30% Effizienzsteigerung möglich sind.

Im Teil 2 dieses Themas beschäftigen wir uns mit den anderen 15 – 20% und wie man diese heben kann.

 

Das Lean Management Institut wünscht ihnen ein erfolgreiches, stressfreies und schönes Neues Jahr 2014.

Bleiben Sie uns gewogen, bleiben Sie Lean.

Ihr Bodo Wiegand

 

Quellen:

1) Focus-Artikel (10/2007): Wir haben genug Fachkräfte.

2) Hochschule AKAD Leipzig

3) Umfrage Varonis, 2012

4) Umfrage von Mimecast und Microsoft Exchange, 2012

5) Thomas Jackson, Universität Loughborough

6) Quelle: Umfrage des Verbandes Die Führungskräfte, 2013

 

Link: E-Mail-Knigge und Besprechungskultur

www.lean-management-institut.de/fileadmin/downloads/Lean_Office_Management.pdf

 

2 Gedanken zu „Fachkräftemangel noch nicht – aber sehr bald – ein Weckruf (Teil 1)“

  1. Danke Herr Wiegand für die offenen und direkten Worte zum Fachkräftemangel in Deutschland.

    Einer der Hauptgründe, dass dieser noch nicht eingetreten ist ist der hohe Ausbildungsstand und die Kreativität der Mitarbeiter.

    Einer der Gründe, dass Email-Kommunikation trotz neuer Informationstechnologien (Blogs, Newsgroups, Microblogging, etc.) immer mehr zu einem „Ressourcenfresser“ wird ist das unterschiedliche Kommunikationsverhalten verschiedener Hierarchiestufen und Altersgruppen.

    Wir Social Networking mittels Informationstechnologien in Unternehmen einziehen und so das unentdeckte Mitarbeiterpotential gehoben werden? Einige Unternehmen haben es schon vor Jahren (zeitweise) vorgemacht, wie z.B. BMW mit dem Werksaufbau in Leipzig.

    Warum sollte dies nicht auch 10 Jahre später in allen Organisationen möglich sein? Es spricht nichts mehr dagegen als Mental Models aus der Vergangenheit.

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  2. Das Thema E-Mail-Kultur ist auch in unserem Unternehmen jüngst wieder auf die Tagesordnung gekommen. Während erste Problemlösungsvorschläge klassisch aus dem Lehrbuch kamen (Schulung der Mitarbeiter, 5 Goldene Regeln,…) vertrat ich eine andere Theorie.
    Nehmen wir die Analogie zur „Snail-Mail“ also dem klassischen Briefkasten. Neben wichtiger Post kommen hier auch jede Menge Postwurfsendungen an, die den Kasten auch zum Überquellen bringen können. In diesem alten System gibt es aber die Möglichkeit durch einen einfachen Aufkleber den Zufluss der Postwurfsendungen zu regulieren. „Bitte keine Postwurfsendungen“ heißt die triviale Lösung.
    Es macht meiner Meinung nach wenig Sinn, nur dem Sender der Information Regeln aufzuerlegen. Er kann oft nämlich gar nicht wissen ob seine Informationen auch für alle angeschriebenen Personen von Relevanz sind. Wir müssen also den Empfänger, als einzigen der den Informationsgehalt für sich beurteilen kann, offiziell und standardisiert ermächtigen zu antworten, dass diese empfangene Nachricht für ihn nicht von Interesse ist und er darüber nicht mehr informiert werden möchte.
    Umsetzen wollen wir dies mit einem Outlook-Addon das per Mausklick unkommentiert eine vorgegebene, standardisierte „Absage“ an den Sender schickt. Bei Bedarf ist auch die Möglichkeit der Kommentierung (etwa: „Für dieses Thema ist Kollege XY zuständig.“) möglich.
    Erreichen wollen wir durch diese schlichte Maßnahme weit mehr als nur das Reduzieren der E-Mail-Anzahl. Genau genommen ist das nämlich ein Unternehmens-Kultur-Thema. Eine Person, die ihrer Meinung nach (oder generell) zu viele E-Mails am Tag bekommt, hat nämlich wahrscheinlich ein Kommunikations- und Führungsproblem. Die Verantwortung für die Menge der E-Mails kann und muss daher beim Empfänger liegen.
    Ein weiterer, nicht zu vernachlässigender Grund für diese Herangehensweise ist das Eindämmen des „Statussymbols E-Mail-Menge“. Nach der Einführung kann sich niemand mehr über zu viele E-Mails „beschweren“ ohne sich die Frage nach der richtigen Nutzung des Addonns gefallen lassen zu müssen.

    MfG, Urs Eberle

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