Lean Administration und die Cockpit-Methode
Gestern hatte ich einen schönen Termin.
Der Vertriebsleiter eines großen mittelständischen Unternehmens hatte mir vor einem Jahr sein Leid geklagt.
Das Problem von ihm: Funktionsübergreifende Projekte zu initiieren und in seinem Unternehmen durchzubekommen, finden wir in vielen Unternehmen. Nach dem Motto: In mein Königreich schaut keiner rein und stellt es auch nicht in Frage.
Nachdem wir wirklich sehr gute Erfolge in einzelnen administrativen Bereichen, wie z.B. Personal, Planung, Engineering und Entwicklung erzielen konnten, haben wir uns an das Thema Vertrieb herangewagt.
Er gab an, dass seine 100 Innendienstmitarbeiter und 210 Außendienstmitarbeiter ineffizient arbeiten und viele Probleme an den Schnittstellen zu anderen Bereichen liegen würden. Es gäbe keine Kundenorientierung im ganzen Unternehmen und der Kunde wäre ja eigentlich nur lästig.
Die Probleme waren:
- Der Außendienst gab Termine an die Kunden weiter, die von der Produktion nicht eingehalten wurden.
- Die Planung interessierte sich nicht für Kundentermine, sondern optimierte nach deren Kriterien die Produktion.
- Die Angebote dauerten zu lange, weil die Techniker zu lange für die Kalkulation brauchten.
- Der Außendienst verkaufte Anlagen, die nicht standardisiert waren, sondern es wurde auf alle Kundenwünsche eingegangen.
- Der Kunde konnte seine Bestellung bis kurz vor der Auslieferung ändern.
Er hatte jetzt ein halbes Jahr versucht, das Augenmerk seiner Kollegen auf den gesamten Auftragabwicklungsprozess zu lenken, diesen zu optimieren und zu verbessern.
Keine Chance bei seinen Kollegen.
Nach dem oben geschilderten Motto: Wir sind gut und der Vertrieb brockt uns eigentlich nur die Probleme ein.
Zu einem gewissen Grad hatten sie ja Recht. Deshalb habe ich ihm vorgeschlagen, doch erst einmal seinen Bereich auf Vordermann zu bringen und erst dann die jeweiligen Schnittstellenprobleme bilateral mit den Bereichen anzugehen.
Das schien ihm einzuleuchten und wir haben dann beschlossen, unsere Cockpit-Methode anzuwenden. Mit dieser Methode haben wir zusammen mit den beteiligten Mitarbeitern dann in 3 Monaten aufgezeigt, wo und was man verbessern kann, haben Menschen ausgebildet und aktiviert. Wir haben sie motiviert, die identifizierten Handlungsfelder und Schwachstellen in einem A3-Report zu beschreiben, Lösungen zur Beseitigung zu erarbeiten und dann auch eigenverantwortlich zu beheben.
Nachdem alle im Cockpit gesehen hatten, wie wenig kundenorientiert gearbeitet wurde, haben eigentlich alle verstanden, dass sich etwas ändern muss.
Auswertungen im Innendienst ergaben:
- 54% der Zeit wurden für interne Prozesse, organisatorische Probleme, Besprechungen und Mailbearbeitungen im Vertrieb selbst und für Klärungen mit dem Außendienst benötigt,
- 22% für interne Klärungen mit den Schnittstellen Technik, Planung und Produktion,
- 24% für die eigentliche Angebotsbearbeitung und Angebotsabstimmung
Im Außendienst wurde festgestellt, dass die Mitarbeiter maximal 44% ihrer Zeit beim Kunden verbrachten. Der Rest wurde für Fahrzeiten, interne Kommunikation und organisatorische Tätigkeiten benötigt.
Plötzlich sprach der Außendienst mit dem Innendienst, die Mitarbeiter entwickelten Ideen und optimierten ihre internen Prozesse. Jedem Innendienstler wurden 5 Außendienstler zugeordnet, die er zu unterstützen hatte und für die er verantwortlich war.
Ein Auftragszentrum wurde eingerichtet, in dem alle internen wie externen Schnittstellen zusammenliefen und koordiniert wurden.
Es wurde ein Raum installiert, in dem alle benötigten Informationen gesammelt und für jeden sichtbar waren, sodass dort alle Angebote erstellt werden konnten. Statt 9 Schnittstellen wurde ein Angebotsteam gebildet. Die Angebotsdauer wurde von 2 – 3 Wochen für A- und B-Produkte auf maximal 3 Tage reduziert. Angebote für Standardprodukte oder Ersatzteile dauerten nur 1 Tag.
In einem halben Jahr war der Vertrieb quasi runderneuert. Es wurden die internen Prozesse optimiert und neu gestaltet.
Der Innendienst hat die Probleme und Sorgen des Außendienstes verstanden und statt internes Troubleshooting zu betreiben, sich darauf konzentriert, den Außendienst in jeglicher Hinsicht zu unterstützen und möglichst viel abzunehmen, sodass sich der Außendienst seiner eigentlichen Aufgabe – vertreiben – widmen konnte. Es wurden Angebotsstandards entwickelt, ab einem gewissen Zeitpunkt keine Produktänderungen mehr zugelassen oder nur gegen Aufpreis genehmigt.
Ein Außendienstmitarbeiter hat sogar vorgeschlagen, die Servicemitarbeiter mit in die Vertriebstätigkeit mit einzubeziehen und, wenn sie vor Ort sind, eventuelle Bedarfe zu erkennen oder abzufragen sowie mögliche Probleme beim Handling zu erfassen und weiterzuleiten. Dies wird jetzt in einer Region pilotiert.
Ein Jahr danach – also gestern – war der Vertrieb nicht wiederzuerkennen. Selbst wenn man nur durch die Büros ging – Whiteboardtafeln hier, Visualisierung dort und der Teamraum – einfach beeindruckend.
Der Vertriebsleiter erzählte mir freudestrahlend, dass sowohl die Technik wie auch die Planung daran interessiert wären, so ein Programm durchzuführen.
Die Quintessenz: 23% Wachstum wurden kompensiert und mit der gleichen Anzahl von Mitarbeitern realisiert. Die Mitarbeiterzufriedenheit und –motivation ist deutlich gestiegen und die Kündigungsrate unter 1% gefallen.
Lean Administration in einem Bereich – geht doch.
Bleiben Sie uns gewogen – bleiben Sie Lean.
Ihr Bodo Wiegand