Fachkräftemangel noch nicht – aber sehr bald – ein Weckruf (Teil 2)

Im Teil 1 haben wir die Möglichkeit besprochen, wie es gelingen kann, im eigenen Arbeitsumfeld effizienter zu werden, die Mailflut einzudämmen und den Aufwand für Besprechungen zu reduzieren. Im Teil 2 wollen wir darauf eingehen, wie man die Zusammenarbeit zwischen den Mitarbeitern und den Abteilungen optimieren kann.

In der Produktion gibt es genau festgelegte Abläufe und Anweisungen, wie ein Produkt hergestellt werden soll. Dort sind die Prozesse stabilisiert, dokumentiert und visualisiert. Dies halten wir in den indirekten Bereichen für nicht nötig. Jeder arbeitet so, wie er es denkt, liefert dann ab, wenn er fertig ist und in der Qualität, die er selbst in der Lage ist zu produzieren.

Entschuldigung – wir produzieren ja nichts in der Administration.

Nein – tun wir nicht!

Oder doch?

Auf jeden Fall wird nicht nach Arbeitsplan gearbeitet oder just in time zu einer genau definierten Qualität geliefert. Das brauchen wir nicht? Doch, wir müssen allmählich mal anfangen, die administrativen Prozesse wie Produktionsprozesse zu behandeln – denn wir brauchen mehr Effektivität und Effizienz in unseren Bürofluren, um den Fachkräftemangel zu reduzieren und langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben.

Es geht nicht um Takt in der Administration sondern um Fluss und Lieferung in time. Durchlaufzeit, Schnittstellen und Flexibilität sind die Prinzipien.

Nein?!?

Doch, wir müssen!!!

Ich höre schon die Mitarbeiter in der Entwicklung und in der Konstruktion stöhnen. Bei uns ist kein Projekt wie das andere – also kann man hier auch keine Prozesse definieren, geschweige denn standardisieren. Und doch sind 70 – 80% der Tätigkeiten Routine- und Wiederholtätigkeiten, bestehen aus unsinnig langen Besprechungen und berufsfremden Tätigkeiten wie z.B. Sekretariats- und Reisebürotätigkeiten. Die Prozesse rund um die eigentliche Konstruktions- und Entwicklungstätigkeit zu definieren und zu standardisieren spart den Mitarbeitern wertvolle Zeit, genauso, wie der Konstruktions- und Entwicklungsprozess nach festen Regelabläufen und Gates ablaufen sollte, um Fehler zu vermeiden oder sie schneller zu erkennen und die Arbeiten qualitativ und zeitlich hochwertig fertigen zu können und um Schnittstellenprobleme, z.B. zur Prototypenfertigung oder zu Fertigung zu vermeiden.

Ich höre schon die Chefs der Personalabteilung, der IT oder des Controllings stöhnen: „Wir produzieren nichts – bei uns kann man nichts optimieren.“ Die schönste Formulierung, die ich häufiger und wechselweise von dieser Fraktion höre lautet: „Herr Wiegand, ohne uns läuft hier nichts“, und wenn ich dann frage, was für Produkte stellen Sie her oder bieten Sie als Dienstleistung an? Dann sehe ich meist nur große Fragezeichen in den Augen.

Hallo – sind Mitarbeiter einstellen, Mitarbeiter fördern, Mitarbeiter beraten keine Dienstleistungen, keine Produkte oder sind Kennzahlen erarbeiten, Sachverhalte aufzeigen, Zahlen zur Entscheidungsfindung aufbereiten keine definierten Produkte oder sind Software einführen, Schulungen abhalten und Supportfunktionen ausfüllen keine Produkte? Natürlich sind es Service- und Dienstleistungen und damit auch Produkte. Kann man diese Produkte dann auch beschreiben, effizienter gestalten, standardisieren, Qualitätsanforderungen definieren und die Abläufe visualisieren?

Ja, man kann!

Was ist also der Unterschied zwischen der Produktion von Gütern und den Produkten in den sogenannten indirekten Bereichen?

Keiner – bis auf die Tatsache, dass die einen sichtbar, anfassbar, greifbar sind und das Produkt der Administration – die Information – interpretierbar, nicht fassbar, unsichtbar und greifbar ist. Gelingt es also, die Information sichtbar zu machen, sie zu definieren, dann kann man sie wie ein Produkt behandeln und die Abläufe effektiver und effizienter gestalten.

Und warum tun wir das nicht?

Vor 20 bis 30 Jahren haben wir in der Produktion genau vor demselben Problem gestanden, mussten Prozesse, die bisher Meister verantwortet und nach ihren Vorstellungen abgeliefert haben, definieren, Schnittstellen beschreiben, Qualitäten festlegen, Arbeitsaufträge formulieren und von der funktionalen Organisation auf Werkstätten und Fertigungsbereiche umgestalten, den Herstellungsprozess neu definieren und prozessorientiert organisieren. Ich weiß es noch wie heute, wie Meister, Werkstattleiter, Fertigungsbereichsleiter gekämpft und ihre Königreiche verteidigt haben.

Es war ein langer, schwerer Kampf.

Doch heute gibt es nur noch weniger als 10% der Unternehmen, die in der Produktion funktional ausgerichtet sind. Alle haben sie bis zum Schluss gekämpft, gegen besseres Wissen, gegen die höhere Wirtschaftlichkeit und für ihre Königreiche. Dies treffen wir heute jeden Tag in unseren Büroetagen. Die Argumente wiederholen sich. „Wenn wir zu einer prozessorientierte Organisation wechseln, geht das spezifische Know how den Bach runter“. Aussage eines Controllers.

Nebenbei – die letzte große Innovation im Bereich des Controllings – die Deckungsbeitragsrechnung – ist mehr als ein halbes Jahrhundert alt. Also, was für ein Know how bitte muss da zentral gehortet, gefördert und behütet werden?

Nicht falsch verstehen – wir brauchen Controller, um unseren Erfolg zu messen, aber nicht im Elfenbeinturm, sondern vor Ort, damit Sie wissen, was Sie messen müssen und damit die Führungskräfte unterstützen können und damit Leitlinien Ihres Handels geben (siehe auch meinen Artikel in dem Buch: Der Controller als Inhouse-Berater).

So verankern wir den Controller im Prozess, dort wo er gebraucht wird, und nicht in der Funktion. Wenn wir die Potenziale in den indirekten Bereichen heben wollen, müssen wir uns nicht die einzelnen Funktionen anschauen, sondern müssen die Abläufe funktionsübergreifend und in den Funktionen selbst optimieren.

Wissen Sie jetzt, warum es so schwer ist, Anhänger für Lean Administration zu finden? Aber 12 Jahre Lean Administration haben gezeigt, es lohnt sich.

Einige Beispiele: 900 Mitarbeiter in Entwicklung und Verwaltung leisten heute womit vorher 1.300 Mitarbeiter beschäftigt waren. Investitionsgüter werden 6 Monate früher ausgeliefert. Ein Dienstleistungszentrum spart 17 Millionen Euro. Ein Pharmaunternehmen verkraftet 20% mehr Umsatz ohne Mitarbeiter aufzubauen. Eine öffentliche Verwaltung reduziert die Bearbeitungszeit von 3 Wochen auf 2 Tage.

Nun, wie geht dies? Man fängt bei der Prozesslandschaft an, definiert die Produkte, erstellt eine Auftragsstrukturanalyse, erstellt eine Tätigkeitsstrukturanalyse und optimiert dann die Wertströme. Ganz einfach – oder nicht?

Ganz so einfach leider auch nicht. Man kann viele Fehler machen. So habe ich schon viele Prozesslandkarten gesehen. Die Einen haben sie aus IT-Sicht erstellt, die Anderen aus Organisationssicht – aber warum nicht aus Kundensicht?

Andere sparen sich die Tätigkeitsstrukturanalyse meist mit dem Argument „Beim Betriebsrat nicht durchsetzbar“.

Was für ein Käse.

Wir führen seit 12 Jahren Lean Administration in Unternehmen ein und hatten noch nie Probleme mit dem Betriebsrat wegen einer Tätigkeitsstrukturanalyse. Meist wurden wir eher unterstützt nach dem Motto: „Endlich tut sich auch in diesem Bereich etwas“.

Häufig werden die Produkte nicht aus Kundensicht definiert.

Die optimierten Wertströme werden durch Kompromisse an den Schnittstellen verwässert kontrakariert und zu komplexen Abläufen aufgepumpt.

Weshalb?

Es wird Rücksicht auf Personen und Funktionen genommen. Deshalb gelingen Lean Administration-Projekte kaum von innen heraus, sondern bedürfen externer Coaches, die Eigeninteressen aufdecken und den Prozess in den Vordergrund stellen.

Sie sollte sich allerdings von diesen Schwierigkeiten nicht abschrecken lassen. Gerade bei Projekten in der Administration gelten die von mir schon so häufig strapazierten 5 Erfolgsfaktoren

  • Planung
  • Commitment der Führung
  • Ganzheitlicher Ansatz
  • Durchdringung/Mindsetveränderung und
  • Messen.

Die Potenziale sind groß und Erfolge leicht zu realisieren. Sie und Ihre Kollegen müssen es nur wirklich wollen und natürlich richtig anfangen.

Bleiben Sie uns gewogen, bleiben Sie Lean.

Ihr Bodo Wiegand

3 Gedanken zu „Fachkräftemangel noch nicht – aber sehr bald – ein Weckruf (Teil 2)“

  1. Sehr geehrter Herr Wiegand,
    ich kann Ihren Beitrag zu 100% aus der eigenen Beratungspraxis bestätigen. „Interne“ Kunden Fehlanzeige; Prozesslandschaften nur zur Erreichung der Zertifzierung; Prozessbeschreibungen fern der Realität „Eigenbild Führungskraft meine Prozesse“; Commitment Fehlanzeige; Fürstentümer, Burgen, Gräben ohne Ende statt fachübergreifender Zusammenarbeit, die sich an gemeinsamen Zielen orientiert; Beitrag der internen Dienstleister zur Wertschöpfung und deren Steigerung – warum?, wieso Messen und Kennzahlen?; Tätigkeitsstrukturanalysen warum?; Verschwendung als wirtschaftliches Risiko – warum?, was ist das?, aber nicht bei uns?; dickste Bretter (Mindset); Meeting = Kommunikation; seitenlange, sich gegenseitig aufschaukelnde Kettenmails statt Entscheidungen und Lösungen, große Verteiler = Melden macht frei; usw. Das Ganze sehen zu lernen, da gibt es noch Vieles zielorientiert und konsequent zu tun.

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  2. Was ist also der Unterschied zwischen der Produktion von Gütern und den Produkten in den sogenannten indirekten Bereichen?
    Keiner – bis auf die Tatsache, dass die einen sichtbar, anfassbar, greifbar sind und das Produkt der Administration – die Information – interpretierbar, nicht fassbar, unsichtbar und greifbar ist.
    – Dies ist bei allen Tätigkeiten falsch, die sich mit undefinierten bzw. dynamischen Problemen befassen und Kreativität anstatt Prozessbefolgung fordern.

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